piwik no script img

Die Totgesagten leben

Nach der Verurteilung der 75 kubanischen Dissidentenim April hat sich die Opposition jetzt zurückgemeldet

HAMBURG taz ■ Mit einem großen weißen Pappkarton in den Armen traf Oswaldo Payá am vergangenen Freitag beim kubanischen Parlament ein, um das vom Proyecto Varela initiierte Referendum durchzusetzen. Zehntausend Unterschriften verlangt die kubanische Verfassung, um ein Plebiszit in die Wege zu leiten. Payá übergab Columbia Lugo Sánchez, der Parlamentsverantwortlichen, 14.384 Unterschriften, sodass der Referendumsantrag theoretisch bei der nächsten Parlamentssitzung im Dezember diskutiert werden könnte.

Das Proyecto Varela, ein Zusammenschluss zahlreicher Menschenrechtsorganisationen und kleiner politischer Parteien, will über das Plebiszit politische Reformen durchsetzen. Doch obwohl die Verfassung solche Referenden vorsieht, wurde das Proyecto Varela bei seinem ersten Anlauf im Mai 2002 ausgebremst. Nachdem der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter anlässlich seines damaligen Kubabesuchs für das Projekt in einer Fernsehansprache geworben hatte, initiierte die Regierung ein eigenes Referendum, das den Sozialismus als definitive Staatsform in der Verfassung verankerte. Damit war das Referendum der zersplitterten Opposition vom Tisch.

Der neue Anlauf wird zwar von bekannten Dissidenten wie Vladimiro Roca begrüßt, aber große Hoffnungen verbindet auch Roca mit der Petition nicht. Immerhin führe sie der internationalen Gemeinschaft vor Augen, dass der Wunsch nach Änderung in Kuba lebendig ist, so Roca gegenüber dem in Miami erscheinenden El Nuevo Herald. Auf der Insel sind die kleine zersplitterte Opposition und das Proyecto Varela hingegen nicht sonderlich bekannt, so Haroldo Dilla, kubanischer Soziologe, der derzeit anlässlich einer Kubakonferenz in Berlin weilt. Gleichzeitig diagnostiziert Dilla, der seit drei Jahren in der Dominikanischen Republik lebt, wachsende Unzufriedenheit in der kubanischen Bevölkerung. „Rund 15 Prozent der Stimmen bei den letzten Wahlen zur Nationalversammlung waren ungültig. Und nahezu eine Million Wähler sind keine zu vernachlässigende Größe“, so Dilla. Er macht allerdings die schwierigen Lebensverhältnisse auf der Insel für den schwindenden Rückhalt der Regierung verantwortlich – und weniger das Fehlen westlicher Rechte. KNUT HENKEL

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen