: Ein System für die Zukunft
Bundesregierung wie Betreiberkonsortium erhoffen sich einiges vom Mautsystem: Die neue Technik könnte den Standort Deutschland stärken
von MATTHIAS URBACH
Manchmal sind die Aussagen von vor einer Woche interessanter als die von heute. Vor allem wenn sich ein Projektstart so in die Länge zieht wie der von Toll Collects Lkw-Maut. Vor einer Woche urteilte die grüne Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohling, ein Start des Systems „wenig später als“ Anfang November wäre noch ein „Erfolg Stolpes“ – ein Start im Januar dagegen würde auch für den Bundesverkehrsminister zum „Problem“. Gestern nun kündigte Manfred Stolpe (SPD) den Spediteuren an, dass diese Weihnachten uns noch „eine mautfreie Zeit“ bescherten. Damit nicht genug: „Wann genau man am Anfang des nächsten Jahres beginnt – ich dränge da überhaupt nicht“, sagte Stolpe.
Eine Woche später ist auch der Koalitionspartner nicht mehr so streng mit dem Sozialdemokraten: Eichstädt-Bohlings Fraktionskollege Albert Schmidt nahm gestern Stolpe erneut in Schutz: Er sei froh, dass „der schwarze Peter endlich dort ist, wo er hingehört, nämlich beim Konsortium“. Wird es also doch nicht Stolpes Problem?
Geht es nach der Opposition, ist es das schon lange. Die Union erklärte Stolpe schon mehrfach für rücktrittsreif. Gestern forderte Dirk Fischer, der verkehrspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zur Abwechslung mal ein „Machtwort des Kanzlers“ – die zweitschrecklichste Verbalattacke, die ein Parlamentarier gegen einen Minister starten kann. Dafür forderte gestern die FDP Stolpes Rücktritt.
Klar ist wohl, dass die Maut schon länger Stolpes Problem ist – wenn auch von seinem Amtsvorgänger Kurt Bodewig geerbt, der Verträge und Zeitplan aushandelte. Wie schlimm es aber nunmehr sein muss, offenbarte eine Bemerkung des Ministers gestern gegenüber dem „Morgenmagazin“ im Ersten: „Beide Partner sind inzwischen sicher: Das System wird kommen.“ Offenbar war dies also nicht völlig sicher, als sich Stolpe am Sonntag mit den zuständigen Vorständen von DaimlerChrysler und Telekom, Klaus Mangold und Josef Brauner, traf, die hinter Toll Collect stehen.
Die Manager unterzeichneten dort eine Liste mit 86 Mängeln, die sie nun Punkt für Punkt zu beheben versprachen. Auch bestätigten die Konzerne erstmals selbst, dass sie keinen Starttermin nennen können. Das war der Regierung besonders wichtig gewesen, heißt es aus Koalitionskreisen. Bislang hatte das Konsortium stets auf Optimismus gemacht, ohne sich festzulegen. Man überließ es Stolpe, den Zeitplan zu nennen und zu verantworten. Stolpes Problem: Hätte er selbst einen der vereinbarten Termine offiziell platzen lassen, wäre das Konsortium rechtlich aus dem Schneider gewesen. Eine Entschädigung für die Einnahmeausfälle von monatlich 156 Millionen Euro wäre dann noch schwerer durchzusetzen gewesen.
Die noch fehlende Entschädigung ist aber der zentrale Angriffspunkt der Opposition gegen den Verkehrsminister. An dieser Front versuchte Stolpe nun zu punkten: Er kündigte gestern Nachverhandlungen an, zu denen „auch die Frage von Vertragsstrafen“ gehörten. Einiges deutet indes darauf hin, dass die Regierung den Firmen offiziell keine Strafgelder abverlangen will. Zu sehr hat sie das Mautsystem zur eigenen Sache gemacht, zu einer Initiative Deutschlands, um Innovation und High-Tech im Lande zu stärken. Auch für die Unternehmen und den Standort Deutschland wären Prozesse um Entschädigung eine peinliche Angelegenheit, heißt es aus Koalitionskreisen. „Das wäre eine Maximierung des Schadens.“
Es wird also eine gütliche Einigung geben, einen „freiwilligen Beitrag“ von Toll Collect zu den Einnahmeausfällen. Dabei ist es offenbar keinesfalls so, dass der Vertrag keine Strafen vorsieht. Sowohl aus Kreisen der Industrie wie aus Kreisen der Koalition vernahm die taz gestern, dass die Verträge durchaus eine Haftung für einen Totalausfall des Systems, wie er jetzt vorliegt, vorsähen.
Doch Regierung wie Konsortium versprechen sich noch viel von der Maut. Die EU-Kommission arbeitet bereits an einer Maut-Richtlinie, mit der sie die europäischen Systeme vereinheitlichen und eine gute Einnahmequelle für ihr teures Navigationssatellitensystem Galileo schaffen will. Ab 2012 sollen Straßengebühren europaweit nur noch satellitengestützt erhoben werden, also genau mit einem System, wie Toll Collect es zu errichten versucht. Wird die Richtlinie Gesetz – und das Wohlwollen der Fachleute im EU-Parlament hat sie schon –, könnte die neue Technik viele Jobs in Deutschland schaffen. Die Unternehmer sehen zudem das Mautsystem als Grundlage für weitere Gimmicks wie etwa automatischer Unfallnotruf oder Echtzeit-Stauwarnung.
Auch viele Verkehrspolitiker setzen auf das Mautsystem. Denn die satellitengestützte Maut-Erfassung ließe sich ohne große Mehrkosten leicht auf alle Straßen und alle Fahrzeuge ausdehnen. Auch wenn Stolpe solche Pläne harsch von sich weist, denken in fast allen Parteien bis hin zur CSU die Fachpolitiker über solche Lösungen nach, bei denen die Kfz-Steuer durch eine Maut ersetzt würde. Dann zahlt jeder genau so viel, wie er die Straßen wirklich belastet.
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