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berliner szenen Freiberufler und Reservist

Im Krieg

Niemand dachte, dass J. wieder nach Berlin kommen würde. Nach dem Ende seiner Karriere im Online-Journalismus war er vor einem Jahr zurück in die westdeutsche Kleinstadt gegangen, in der er aufgewachsen war. Bei der Lokalzeitung freute man sich über einen Redakteur mit Berufserfahrung, der bereit war, als freier Mitarbeiter für 20 Cent pro Zeile über Schützenfeste zu berichten. Und er hatte Glück: Zusammen mit den Fördergeldern, die ihm nach der Gründung einer Ich-AG zustanden, kam er immerhin auf den Sozialhilfesatz.

Als er dann den Auftrag bekam, in der Region stationierte Fallschirmspringer der Bundeswehr zu porträtieren, erzählte ihm einer der Soldaten von der Möglichkeit einer außerordentlichen Reservistenübung. Daraufhin schrieb J. sofort einen Brief an die zuständige Stelle, berief sich auf seine Zeit als Wehrpflichtiger und machte deutlich, dass er als Freiberufler natürlich jederzeit zur Verfügung stehe. Tatsächlich berief man ihn nach Berlin ins Verteidigungsministerium, wo er jetzt gegen einen großzügigen Sold die Website www.bundeswehr.de betreut. Als wir uns dann vor ein paar Tagen in einem Café trafen, kam auch eine ehemalige Kollegin von J. dazu. Sie, ebenfalls Online-Redakteurin, war damals auch entlassen worden und brachte nun ihre drei Monate alte Tochter mit. Irritiert sah sie ihn an, als er erzählte, dass sein Vorgesetzter ihm weitere Wehrübungen in Aussicht gestellt und ihn darüber hinaus für „auslandstauglich“ befunden habe. Einem halben Jahr als Presseoffizier in Afghanistan stände nichts im Wege. „So ist das, wenn alles zerbricht“, sagte J. und sah sehr zufrieden dabei aus: „Die Frauen bekommen Kinder, und die Männer ziehen in den Krieg.“

KOLJA MENSING

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