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Velo la revolución!

Che Guevara liebte das Motorrad, die heutigen Kubaner sind aufs Fahrrad gekommen. Für Radtouristen kann Kuba paradiesisch sein – solange sie kein Ersatzteil benötigen

VON ACHIM BELLGART

„Ihr habt doch ein Rad ab!“ Mit solchen Kommentaren muss man leben, wenn man nach Kuba will. Eben mit dem Rad. Nach vier Wochen und 1.000 Kilometern auf kubanischem Asphalt waren alle Zweifel beseitigt: Kuba ist eines der fahrradfreundlichsten Länder der Welt. Die Straßen sind zumeist gut, Autos selten. Und wenn mal eins überholt, wird vorher warnend gehupt und der Abstand fast immer großzügig bemessen. Dass zwei Radler hintereinander fahren, erwartet man höchstens auf engen Straßen. Unser Autofrei-Rekord auf Fernstrecken lag bei 100 Minuten, in der Pampa bei einem Tag. Dafür überall Rad fahrende Kubaner.

Doch so ganz freiwillig ist der massenhafte Gebrauch des Velos nicht. Als die Sowjetunion nicht mehr existierte, drohte der Insel der wirtschaftliche Kollaps. Es musste Sprit gespart werden. Der Staat gab in China eine Sammelbestellung über eine Million Räder auf, und so lernten die Leute Rad fahren – aber nicht unbedingt, es zu lieben. Auch für die Einheimischen waren wir loco, verrückt. So was Anstrengendes freiwillig zu machen!

Dabei lässt sich die Mühe begrenzen: Bis in die letzten Winkel des Landes fahren die camiones, Lkws, die die Menschen fast umsonst befördern. Oft ist die Ladefläche so voll, dass die Räder gar nicht umfallen können. Auch sonst nimmt einen jeder mit, der noch Platz hat, staatliche Autos sind dazu sogar verpflichtet. Mit wenigen Dollars kann man sich erkenntlich zeigen. Ebenso preiswert ist die Eisenbahn, ein Erlebnis der besonderen Art. Das rollende wie das ruhende Material auf der von uns ausprobierten Nebenstrecke ist in erbarmungswürdigem Zustand, das Tempo knapp höher als mit dem Rad, die Stimmung freundlich und gelassen. Und an jedem Bahnhof werden leckere Köstlichkeiten angeboten.

Pünktlicher, schneller und teurer als die Bahn fahren die Viazul-Fernbusse: Die Räder passen aufrecht in den Gepäckraum und werden an Pfosten angeschlossen. Perfekt!

Gegen Anstrengung hilft auch eine gute Unterkunft. Wer sich nicht in Hotels langweilen möchte, findet in größeren Orten casas particulares, Privatzimmer, die sehr unterschiedlich ausfallen. Von der Bauernkate ohne abgeteilte Zimmer mit Plumpsklo übern Hühnerhof bis zum tadellosen Zimmer mit eigener Dachterrasse ist alles dabei. Der Preis ist fast immer gleich: 25 Dollar in Großstädten, ansonsten 20, egal wie viele Personen im Zimmer nächtigen. Die Räder kommen ins sichere Wohnzimmer. Das Schönste: Man kann sich von Stadt zu Stadt weiterreichen lassen, wird telefonisch angekündigt und vom Bus oder Bahnhof abgeholt.

Dollar? In der Krise um 1993 wurde er als Zweitwährung eingeführt. Man wollte die Wirtschaft vor dem Exitus retten, was tatsächlich funktionierte. Alle einfachen Waren werden mit Pesos bezahlt, alle anderen mit Dollars, hauptsächlich von Touristen ins Land gebracht. Die Kehrseite: Wer am Tag zwei Dollar auftreibt, verdient mehr als mit Arbeit. Konkurrenz, Neid und Sinnkrise machen sich breit und unterhöhlen die immer noch erstaunlich starke Solidarität der Menschen und ihren Stolz, 45 Jahre lang den USA getrotzt zu haben. Die Klassenspaltung wird schärfer, Slums und Müllpicker sind wieder da.

Doch die immer noch überschwängliche Hilfsbereitschaft und Improvisationstalent helfen über die vielen Alltagsprobleme hinweg, von denen auch Radreisende gestreift werden. So wird man mit Trinkwasser versorgt, obwohl ein Laden weit und breit nicht zu finden ist. Auf Bauernmärkten kann man sich für wenige Pesos durch den tropischen Obstgarten futtern. Und wer sich auf die Suche nach einem Fahrradersatzteil begibt, lernt die schönsten Werkstatthöhlen kennen. Was allerdings nicht heißt, das man das Gesuchte bekommt. Rad ab: Wem auf Kuba eines der beiden Laufräder abhanden kommt, der dürfte vor einem echten Problem stehen. Selbst die hierzulande üblichen Ventilarten sind so gut wie unbekannt.

Man sollte also einiges mitnehmen. Ein Muss ist die perfekte Verpackung für den Hinflug. Die Kombination von Fahrradversandkarton und viel Polstermaterial ist ausreichend. Da man auf der Radreise jedoch höchstens die leichten Schaumstoffteile transportieren kann, hilft für den Rückflug nur eine andere Kombi: Gepäckversicherung und Werkstatt zu Hause. So sind die Schäden an unseren Rädern längst wieder vergessen.

Nicht vergessen werden wir die traumhaften Radpisten, etwa die zwischen der Sierra Maestra und dem Meer, die Strände mit den atemberaubenden Korallenbänken, die man ganz für sich allein hat. Auch nicht das anachronistische Bild von Schulkindern, die unter wehenden roten Fahnen, lauthals Revolutionslieder brüllend, vorbeiziehen. Und nicht die kubanischen Autobahnen mit den breiten Radspuren. Benutzt man sie von Nordost nach Ost, hat man als Zugabe den Passat ständig im Rücken.

Für die Planung: W. Smith, B. Smith: „Bicycling Cuba“. Countryman Press, 19,11 €. D. Choukalos, R. Jordan: „Cycling Cuba“. Lonely Planet, 21,06 € (beide Bücher müssen in den USA bestellt werden)

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