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Russisches Finale auf dem roten Platz

Mit Anastasia Myskina und Elena Dementjewa spielen zwei Elevinnen der Spartak-Schule um den French-Open-Titel

PARIS taz ■ Elena Dementjewa weiß am besten, was Anastasia Myskina zuzutrauen ist. Als sie nach ihrem Sieg im Halbfinale in der Pressekonferenz um ihre Einschätzung der möglichen Gegnerinnen fürs Endspiel gebeten wurde, meinte sie spontan: „Ich glaube, es wird ein russisches Finale geben.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte der zweite Satz im Spiel zwischen Myskina und Jennifer Capriati gerade erst begonnen, Myskina führte zwar, aber das Ende war noch nicht in Sicht. Außer für Dementjewa, die kichernd ihre Prognose fortführte: „… ein russisches Finale. Wir nehmen den Pokal einfach mit und spielen es in Moskau.“

Was in gewisser Weise Sinn machen würde, denn im letzten Frauenspiel der French Open 2004 spielen heute zwei gegeneinander, die sich seit der Kinderzeit kennen. Bei Spartak Moskau haben Dementjewa und Myskina, beide 22, Ende der Achtzigerjahre unter der unerbittlichen Leitung von Marat Safins Mutter, Rausa Islanowa, das Tennisspielen gelernt. In Moskau sind sie immer noch zu Hause. Sie reisen durch die Welt, wie alle in diesem Geschäft, aber sie sind ihrer Heimatstadt treu geblieben waren, an Tennis made in Florida nicht interessiert.

Irgendwie steckt in dieser Geschichte schon ein gutes Stück Ironie. Anna Kurnikowa, die vor acht Jahren mit der Leuchtkraft einer Supernova auf der Bildfläche erschien, steht vor dem Ende ihrer Karriere, und das, was sie nie erreicht hat, schaffen nun zwei, die ganz anders sind. Und vermutlich genau deshalb Erfolg haben. Elena Dementjewa, die leise Blondine mit der Ausstrahlung und Bildung einer höheren Tochter, und Anastasia Myskina, die energische Brünette, die von sich sagt, privat sei sie nett, aber auf dem Platz könne sie manchmal schrecklich sein.

Worin das Erfolgsgeheimnis der russischen Spielerinnen liegt – sechs stehen unter den ersten 20 der Weltrangliste, zehn unter den ersten 50 –, wird immer wieder diskutiert. Maria Scharapowa, 17, hat dazu neulich gesagt: „Wir arbeiten einfach am Ende jeden Tages eine Stunde mehr.“ Anastasia Myskina erinnert sich an Trainingsstunden von früh am Morgen bis spät am Abend, aber sie sagt, das sei in Ordnung gewesen und sie habe eine Menge Spaß dabei gehabt. Die Aussicht auf die finanziellen Segnungen als Tennisprofi bringen immer mehr russische Eltern auf die Idee, die Töchter zum Tennis zu schicken, und bei der Dominanz sowohl in der Breite als auch in der Spitze musste einfach passieren, was nun in Paris passiert.

Und irgendwie passt es, dass nicht eine Russin in Paris um die Ehre spielt, die erste Grand-Slam-Siegerin ihres Landes zu sein, sondern gleich zwei. Vor 30 Jahren, als die Begleiter nicht Manager, Trainer und Physiotherapeuten waren, sondern Agenten des KGB, spielte die Russin Olga Morozowa im Finale der French Open und verlor ebenso klar gegen Chris Evert wie ein paar Wochen später in Wimbledon. Morozowa ist seit Anfang des Jahres Dementjewas so genannter Reisecoach, Myskina vertraut ihrem deutschen Trainer Jens Gerlach.

Die Finalistinnen werden nervös sein, was sich nicht vermeiden lässt beim Debüt im Endspiel eines Grand-Slam-Turniers, und sie werden nicht mehr die Frischesten sein; sieben Spiele in zwei Wochen steckt selbst der stärkste Argentinier nicht folgenlos weg. Die Wetten favorisieren Myskina, nicht nur wegen des variableren Spiels. Elena Dementjewa erinnert sich, früher bei Spartak sei sie im Training fast immer die Bessere gewesen, aber sobald es um etwas gegangen sei, habe Myskina gewonnen. Damals haben sie um Pizza gespielt, diesmal spielen sie um einen Pokal. Und um eine deftige Umarmung vom größten Tennisfan der Nation. Boris Jelzin, der russische Expräsident, hat sein Erscheinen angekündigt. Zum Showdown auf dem roten Platz in Paris. DORIS HENKEL

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