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Ohne Feigenblatt

Der russische TV-Sender NTW hat einen seiner letzten eigenwilligen Journalisten entlassen – dabei war er nicht mal besonders politisch

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Leonid Parfjonow war einer der schillerndsten Moderatoren und letzten eigenwilligen Journalisten, die im gleichgeschalteten russischen Staatsfernsehen vier Jahre „gelenkter Demokratie“ überstehen konnten. Seit Anfang der Woche ist damit Schluss. Der beliebte Chef der wöchentlichen Magazinsendung „Namedni“ (neulich) wurde am Dienstag vom TV-Kanal NTW, der dem staatlichen Gaskonzern Gasprom gehört, nach einer Auseinandersetzung über einen umstrittenen Beitrag fristlos entlassen und die Sendung aus dem Programm gestrichen.

Der Streit entfachte sich an einem Interview mit der Witwe des in Katar ermordeten ehemaligen Präsidenten Tschetscheniens, Selimchan Jandarbijew. Zwei Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes stehen zurzeit wegen Mordverdachts in dem Scheichtum vor Gericht. Nach bislang unbestätigten Berichten hatte der russische Geheimdienst versucht, die Ausstrahlung zu verhindern, da das Interview die Lage der Angeklagten beeinträchtigen könnte. „Es handelte sich um eine Anfrage, die man nicht ablehnen kann“, kommentierte Parfjonow den Eingriff. Im russischen Fernen Osten, wo die Sendung aufgrund der Zeitverschiebung bereits nachmittags läuft, wurde der Beitrag noch gesendet, dann untersagte die Geschäftsleitung die Ausstrahlung im europäischen Teil. Da Parfjonow die Einzelheiten des Verbots öffentlich machte, lautete die offizielle Begründung für die Entlassung, er habe gegen die Rgeln des Unternehmens verstoßen.

Umstrittene Person

Das mag juristisch sogar zutreffen. Dennoch sehen die meisten Beobachter in der Affäre einen weiteren Versuch, die Medienlandschaft endgültig gleichzuschalten. Bislang diente NTW, das auf Geheiß des Kremls zu Beginn der Putin-Ära von Gasprom annektiert worden war, noch als journalistisches Feigenblatt mit begrenzter Selbstständigkeit. „Einer der besten Journalisten und eines der besten Programme sind zensiert worden“, kommentierte der russische PEN-Club, „man hat sie kaputt gemacht, was eindeutig beweist, dass wir in einem Polizeistaat leben.“

Der Egozentriker Parfjonow war in Journalistenkreisen als Person umstritten. Dennoch wird der Vorfall als ein bedrückendes Menetekel gewertet: Anscheinend will der Kreml in der zweiten Amtsperiode des Präsidenten die autoritäre Linie weiter vorantreiben – was gar nicht nötig wäre, da das Regime bereits jetzt öffentliche politische Äußerungen weitgehend unterbindet, wenn sie ein großes Publikum erreichen.

Dafür spricht, dass die Absetzung von „Namedni“ für den Sender eine erhebliche finanzielle Einbuße bedeutet. In Moskau hatte das Magazin die höchste Einschaltquote unter vergleichbaren Politsendungen, landesweit rangierte es auf Platz zwei.

Auf Unverständnis stößt die Reaktion der politisch Verantwortlich auch, weil Parfjonow ein unpolitischer Journalist war. Sein Programm überzeugte weniger durch kremlkritische Beiträge als durch Stil, Machart, Ironie und Inhalte, die sonst nirgends eine Öffentlichkeit finden. Er nahm sich Minderheiten und Randgruppen an, prangerte Rassismus und staatliche Ächtung von Aidskranken an oder tauchte in jugendliche Subkulturen ein. Daraus entstand das Bild eines gesellschaftlich heterogenen Russlands, das dem artifiziellen Entwurf der krähwinkligen politischen Elite von einem Russland, das sich auf Gemeinschaftlichkeit, Patriotismus und nationale Erwähltheit besinnt, einfach nicht entsprach.

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