VENEZUELAS ALTE ELITEN WOLLEN DEN GEWÄHLTEN PRÄSIDENTEN ABSETZEN: Demokratiegegner setzen auf Referendum
So viel Mitbestimmung war nie in Venezuela. Präsident Hugo Chávez wurde zweimal mit großer Mehrheit zum Staatsoberhaupt gewählt, er ließ eine Verfassung schreiben und über sie abstimmen – und muss sich jetzt erneut einem Referendum über seinen Verbleib im Amt stellen. Doch ein Sieg der Demokratie ist die Erzwingung des Referendums nicht. Vielmehr droht ein Rückschritt. Denn die von Venezuelas Oberschicht getragene Initiative kämpft dafür, die alten Eliten wieder an die Macht zu bringen. Dafür nutzt sie massiv ihren Einfluss in den großen Fernsehsendern.
Dabei waren es ja gerade die alten Eliten, die das Land so weit heruntergewirtschaftet hatten, dass die Wahl des Populisten Chávez erst möglich wurde. In einem Land, das fünftgrößter Erdölexporteur der Welt ist, leben 80 Prozent der Bevölkerung in Armut. Erst mit Chávez wurde die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zum Thema. Mit ihm als Präsidenten haben die Armen zum ersten Mal einen politischen Repräsentanten – sehr zum Leidwesen der traditionellen Parteien.
Gewiss ist Chávez ein Dickkopf, sein Projekt der bolivarischen Revolution ist wirr, und er selbst neigt zum autoritären Denken. Doch seinen Gegnern fallen bis heute nur schwache Argumente gegen ihn ein: Er sei widerlich. Er sei unfähig. Er sei verrückt. Das mag alles sein, ist aber kein Grund, einen demokratisch gewählten Präsidenten während seiner Amtszeit in die Wüste zu schicken. Und am wenigsten zieht ihr Argument, Chávez sei kein Demokrat. Dabei wurde die Möglichkeit, nach der Hälfte der Amtszeit einen Präsidenten per Referendum abzusetzen, von Chávez selbst in die Verfassung eingeführt.
Seine Gegner bejubeln die Abhaltung des Referendums nun als Triumph der Demokratie. Ausgerechnet: Noch im April 2001 beklatschten sie putschende Soldaten, die das Feuer auf den Präsidentenpalast eröffnet hatten, um Chávez gewaltsam zu stürzen. Es ist paradox: Es sind die Feinde der Demokratie, die jetzt mit dem Instrument der partizipativen Demokratie einen Präsidenten zu stürzen versuchen. INGO MALCHER
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