: Eichel an der letzten Rückzugslinie
Um einen verfassungsgemäßen Haushalt 2005 aufzustellen, versucht Finanzminister Eichel, seinen Kabinettskollegen zwei Milliarden Euro abzuringen. Union: „lächerliche Verhandlungen“. Denn mindestens 15 weitere Milliarden Euro fehlen noch
AUS BERLIN HANNES KOCH
Unter hämischen Kommentaren der Opposition hat Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) begonnen, den Bundeshaushalt 2005 aufzustellen. Als „geradezu lächerlich“ bezeichnete der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Dietrich Austermann, gestern die Verhandlungen zwischen Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) und seinen Kabinettskollegen über mögliche Einsparungen. Die dabei zur Rede stehenden 2 Milliarden Euro seien quasi nichts im Vergleich zu den rund 50 Milliarden, die Eichel tatsächlich fehlten, amüsierte sich Austermann.
Völlig daneben liegt der Unionspolitiker nicht. Selbst in rot-grünen Fachkreisen heißt es, der Gegenstand der Chefgespräche, die am Donnerstag begonnen haben, sei eigentlich „Kleinkram“. Vorgestern und gestern unterhielt sich Eichel zuerst mit Bildungsministerin Edelgard Bulmahn, dann mit Verkehrsminister Manfred Stolpe und Verteidigungsminister Peter Struck (alle SPD) über die in den Ressorts notwendigen Ausgabenkürzungen. Diese sind nach einer Koalitionsverabredung vom vergangenen Jahr zu erbringen, um fehlende 2 Milliarden Euro für die Rentenversicherung zu beschaffen und dadurch die Beiträge der Versicherten stabil zu halten. Struck soll 500 Millionen Euro aus seinem Etat herausstreichen, bietet aber bislang nur 200 Millionen, Stolpe soll ebenfalls auf rund 500 Millionen verzichten. Zu Ergebnissen konnte sich das rot-grüne Kabinett bislang nicht durchringen. Am kommenden Dienstag muss Wirtschaftsminister Wolfgang Clement in den Ring.
Ob die 2 Milliarden schon jetzt zusammenkommen oder als undefinierte „globale Minderausgabe“ im Etat eingesetzt werden, sagt freilich nichts über die entscheidende Frage: Wie wird der Bundeshaushalt 2005 verfassungsgemäß? Das ist das große Ziel, das Eichel sich gesetzt hat. Um es zu erreichen, muss die Neuverschuldung unter der im Etat vorgesehenen Investitionssumme von 24,6 Milliarden Euro bleiben. Rot-grüne Fachkreise rechnen zwar nicht mit der CDU-Horror-Finanzlücke von 50 Milliarden Euro, kommen aber immerhin auf bis zu 41 Milliarden Euro – unter anderem die schlechte Konjunktur und geringere Steuereinnahmen schlagen hier zu Buche .
Um das Budget 2005 im Einklang mit der Verfassung aufzustellen, muss der Finanzminister also noch rund 15 Milliarden Euro auftreiben. Die 2 Milliarden Einsparungen in den Ressorts wären nur ein kleiner Teil. Der große Brocken – bis zu 13 Milliarden Euro – soll durch die Privatisierung von Bundesbesitz gedeckt werden. Eichel plant, größere Aktienpakete von Deutscher Post AG und Deutscher Telekom AG an die öffentliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) abzugeben. Diese würde die Aktien zum Teil 2005 bezahlen, aber erst später nach und nach an der Börse verkaufen.
Das Parken weiterer Aktien bei der KfW erscheint durchaus möglich, wenn es nach Ansicht mancher Koalitionsexperten auch nicht unbedingt sinnvoll ist. Schon jetzt besitzt die Kreditanstalt 16,7 Prozent der Telekom-Papiere und 37,6 Prozent der Post-Aktien. Das Institut kann diese großen Pakete nur langsam verkaufen, weil sonst die Kurse sinken würden. Der gegenwärtige, schwierige Börsengang der Postbank wirft überdies kein hoffnungsvolles Licht auf die Kursentwicklung des Mutterkonzerns Deutsche Post AG.
Eichels Sprecher Jörg Müller wies gestern allerdings darauf hin, dass es grundsätzlich auch andere Möglichkeiten gebe, Bundesbesitz zu veräußern. Zum Beispiel behalte man sich vor, Aktien direkt an der Börse zu verkaufen, sagte Müller.
Das Projekt „Privatisierung“ wird wohl gelingen, weil es gelingen muss. Das Aufstellen des verfassungsgemäßen Budgets für das kommende Jahr ist Eichels letzte Rückzugslinie. Denn zwei große Ziele hat er bereits aufgegeben: die Neuverschuldung unter der Grenze des EU-Stabilitätspaktes zu halten und 2006 die öffentlichen Budgets in Deutschland insgesamt auszugleichen.
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