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Nicht mehr im Schatten Arafats

Am Sonntag wird Mahmud Abbas zum Präsidenten der Palästinenser gewählt. Er wird den Kurs seines verstorbenen Vorgängers Arafat verändern

AUS RAMALLAH SUSANNE KNAUL

Gleich hinter dem israelischen Kontrollpunkt Kalandia beginnt der Wahlkampf. Alle 50 Meter schaut Fatah-Spitzenkandidat Mahmud Abbas mit väterlichem Blick auf die Passanten herab; vom Fotografen mal vor einer palästinensischen Flagge postiert, mal Seite an Seite mit dem jüngst verstorbenen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat. Dessen Nachfolger im höchsten Amt der Autonomiebehörde möchte Abbas werden, der sich nach seinem ersten, verunglückten Sohn gern Abu Masen („Vater des Masen“) nennt. Die Mehrheit der 1,8 Millionen wahlberechtigten Palästinenser wird am Sonntag für den 69-Jährigen stimmen. Das Erbe als PLO-Chef trat er bereits im Dezember an.

Man könnte meinen, dass es ein Wettstreit von nur zwei Bewerbern ist, ähnlich wie vor neun Jahren, als nur eine einzige Kandidatin, Samiha Khalil, den chancenlosen Kampf gegen Arafat aufnahm. Diesmal steht dem Fatah-Kandidaten Abu Masen der Menschenrechtsaktivist und Mitbegründer der „Nationalen Initiative“ Dr. Mustafa Barghuti gegenüber. Umfragen geben ihm die zweitbesten Chancen auf einen Wahlsieg, wenngleich weit abgeschlagen. Auch Barghuti hat zigtausende Dollar in seine Kampagne gesteckt und ließ sich eigens für die Wahl mal vor dem Jerusalemer Tempelberg, mal im Disput mit israelischen Soldaten ablichten.

Doch Barghuti „gehört nicht zur Fatah und er ist politisch zu schwach“, sagt Mustafa Ghoul, der im Stadtzentrum von Ramallah einen kleinen Laden mit Handy-Zubehör hat: „Deshalb werde ich Abu Masen wählen.“ In seinem Schaufenster hängt das Plakat des PLO-Chefs. Der künftige Vorsitzende der Autonomiebehörde soll der Gewalt ein Ende machen, die die Palästinenser auch in eine wirtschaftliche Misere geführt habe. „Mit dem Frieden wird es wieder mehr Arbeit und mehr Geld geben“, hofft Mustafa.

In der Salim-Effendi-Halle kurz vor Ramallah ruft Abu Masen seine Anhänger zusammen. Sie kommen in Massen und jubeln dem sonst so zurückhaltenden Politiker, der stets im Schatten Arafats stand, begeistert zu. Der Zorn des Volkes über seine Ansprache in Akaba, wo er im Sommer vorvergangenen Jahres gemeinsam mit Ariel Scharon den internationalen Friedensplan „Roadmap“ unterzeichnete, scheint vergessen. Damals konzentrierte er sich auf das israelische Sicherheitsbedürfnis und drängte auf ein Ende der Gewalt. Das Leid des eigenen Volkes, so die heimische Kritik, sei deutlich zu kurz gekommen.

Umso mehr bemüht sich der Präsidentschaftsanwärter jetzt um deutlich propalästinensische Positionen, betont das Rückkehrrecht der Flüchtlinge, ruft zur Entlassung der politischen Häftlinge auf und nennt Israel einen „zionistischen Feind“. All das sehr zum Unwillen der israelischen Regierung, deren zu erwartende Kritik ihm gerade recht zu kommen scheint: „Worüber soll ich denn reden, um sie [die Israelis] nicht zu enttäuschen“, witzelt er.

Abu Ammar, der Kampfname, den sich Arafat in Anlehnung an den eines Gefolgsmannes des Propheten Mohammed gegeben hat, taucht in jedem zweiten Satz auf. Verständlich, dass der Präsidentschaftskandidat die Sympathiewelle für den Toten nutzt. Allerdings fährt Abu Masen inhaltlich eine grundsätzlich andere Linie als Arafat und tritt für umfangreiche Reformen im Sicherheitsbereich und die sofortige Einstellung des gewaltsamen Widerstandes ein. Forderungen, die im Programm Barghutis ganz ähnlich lauten.

Politische Beobachter rechnen mit über 70 Prozent der Stimmen für Abu Masen. Dabei bestehen nur geringe Unterschiede im Wahlverhalten der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Dr. Nabil Kukali vom Palästinensischen Zentrum für öffentliche Meinung erkennt anhand seiner Umfragen einen deutlicheren Sympathievorsprung Abu Masens gegenüber Barghuti bei den Männern sowie in den Dörfern und Flüchtlingslagern, was „damit zusammenhängt, dass Abu Masen selbst Flüchtling ist“, so vermutet Kukali.

Insgesamt sind noch sieben der zunächst zehn Kandidaten für das Präsidentschaftsamt im Rennen, alle ausnahmslos Männer und Muslime. Zwei der chancenlosen Kandidaten gehörten zumindest in der Vergangenheit den Fundamentalisten an. Dessen ungeachtet wiederholten die islamischen Bewegungen ihren Boykottaufruf.

„Ich werde nicht an der Wahl teilnehmen“, sagt der 23-jährige Städteplaner Ismail Talhmah, der Mitglied einer islamischen Bewegung ist. Zwar seien die Wahlen grundsätzlich zu begrüßen, schließlich „trat schon unser Prophet Mohammed für Debatten und demokratische Beschlüsse ein“, doch bei diesen Wahlen stehe das Ergebnis ohnehin fest. Abu Masen sei der Favorit der USA und Israels. „Er wird unser Land verkaufen“, fürchtet der junge bärtige Mann mit Lederjacke und Schlips. Dennoch räumt er ein, dass Abu Masen den Palästinensern Geld verschaffen werde, wohingegen die „USA, sollte etwa die Hamas den Präsidenten stellen, ihre finanziellen Zuwendungen sofort einstellen würden“. Doch das Land sei „nicht verkäuflich, schon gar nicht an die Juden“.

Der Boykott der Islamisten kommt Abu Masen ungelegen. Aus Sorge vor einer niedrigen Wahlbeteiligung sollen bereits Warnungen laut geworden sein, dass Beschäftigte der Autonomiebehörde, die nicht wählen, ihre Gehälter nicht pünktlich ausgezahlt bekommen.

Ähnlich wie die letzte wird auch diese Wahl von internationalen Beobachtern verfolgt. Die EU organisiert mit ihrem 260-köpfigen Team eine der „größten Wahlbeobachtungsmissionen, die jemals stattgefunden hat“, so der deutsche Wahlexperte Ron-Helmut Herrmann, der den Eindruck hat, dass die Organisation der diesjährigen Wahlen „deutlich weniger politisiert ist“ als vor neun Jahren. Damals stand die palästinensische Zentrale Wahlkommission unter der Leitung von Abu Masen selbst, während die Wahlen diesmal von „Parteiunabhängigen und zumeist Akademikern“ organisiert werden. Mit den ersten zuverlässigen Ergebnissen rechnet Herrmann „frühestens am Montag“.

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