: Die Glatze hat Mann von Mama
Bonner und Düsseldorfer Mediziner haben ein Gen isoliert, das sie für den frühzeitigen Haarausfall bei Männern verantwortlich machen. Das betroffene Gen liegt auf dem X-Chromosom. Männer erben den Defekt daher offenbar von ihrer Mutter
VON HOLGER ELFES
Männern mit Glatze wird gerne überdurchschnittliche Potenz unterstellt – der Hormone wegen. Das ist zwar ziemlicher Quatsch, aber wie Wissenschaftler der Universitäten Bonn und Düsseldorf nun herausgefunden haben, scheinen die männlichen Geschlechtshormone doch tatsächlich eine entscheidende Rolle beim Haarausfall von Männern zu spielen. Demnach können bestimmte Veränderungen in der genetischen Bauanleitung des Androgen-Rezeptors – einer Art Andockstation für ein Hormon – eine frühe Glatzenbildung zur Folge haben.
Androgene sind Hormone, die für die Entwicklung des männlichen Geschlechts eine wichtige Rolle spielen. Das betroffene Gen liegt auf dem X-Chromosom. Männer erben den Defekt daher von ihrer Mutter. Das ist ein Beleg für ein anderes, weit verbreitetes Vorurteil: dass Männer in Punkto Haarausfall eher nach ihrem Großvater mütterlicherseits als nach ihrem Vater kommen. Es beginnt mit Geheimratsecken, die Stirn wird immer höher, das Haar am Hinterkopf dünner. Jeder zweite Mann leidet unter Haarausfall. Erfolg versprechende Therapien gibt es kaum – trotz eines großen Angebots an obskuren Wässerchen.
Schon lange wird vermutet, dass die Erbanlagen bei der Entstehung des Haarausfalls eine Rolle spielen. Bisher war aber unklar, welche Gene beteiligt sind. Die Forscher um Markus Nöthen vom Life & Brain Zentrum des Universitätsklinikums Bonn sowie Roland Kruse von der Hautklinik des Universitätsklinikums Düsseldorf scheinen nun erstmals eine der verantwortlichen Erbanlagen identifiziert zu haben. Über mehrere Jahre hatten die Forscher bundesweit nach Familien gefahndet, bei denen mehrere Männer vom Haarausfall betroffen sind. In Blutproben der Freiwilligen suchten sie dann nach Kandidatengenen – und wurden schließlich fündig.
In einem ersten Schritt gelang es dem Team, die Suche auf eine Reihe von Regionen auf verschiedenen Chromosomen einzugrenzen. In einer Region, die den stärksten Beitrag vermuten ließ, lag die Erbanlage für besagten Androgen-Rezeptor. „Eine Variante dieses Gens fand sich unter Männern, die schon früh unter Glatzenbildung litten, sehr viel häufiger als bei Männern, die im Alter von mehr als 60 Jahren noch volles Haar hatten“, sagt Nöthen. Wahrscheinlich führt die Genvariante zu mehr Androgen-Rezeptoren in der Kopfhaut. „Unsere Ergebnisse lassen zwei Erklärungen zu“, erklärt Axel Hillmer aus Nöthens Arbeitsgruppe: „Entweder werden bei den Betroffenen mehr Androgenrezeptoren gebildet, oder die Rezeptorvariante, die aufgrund der Genveränderung entsteht, ist stabiler und wird nicht so schnell abgebaut. Durch beide Mechanismen kann es zu einer stärkeren Wirkung der Androgene kommen, was dann wiederum zum Haarausfall führt.“
Zu der Erkrankung trägt aber nicht nur eine Erbanlage bei: „Wir haben Hinweise auf weitere Gene, die unabhängig vom elterlichen Geschlecht vererbt werden“, betont Nöthen. Mitunter vererbt sich die Veranlagung daher auch direkt vom Vater auf den Sohn. Um noch mehr beteiligte Erbanlagen zu identifizieren, sucht das Forscherteam weiter nach Betroffenen. „An der Studie können Männer unter 40 Jahren mit weit fortgeschrittenem Haarausfall teilnehmen“, so Kruse. „Sollten zusätzlich ein Bruder betroffen und die Eltern ebenfalls zur Entnahme einer Blutprobe bereit sein, umso besser.“ Die Teilnehmer der Studie erhalten eine Aufwandsentschädigung. Finanziert wird das Projekt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Krupp-Stiftung.
Das Life & Brain Zentrum ist ein neues Forschungszentrum des Universitätsklinikums Bonn, das sich mit modernsten Technologien der anwendungsnahen Ursachenforschung von Krankheiten widmet.
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