: Neues türkisches Strafrecht in Kraft getreten
Journalistenverband kritisiert Einschränkungen der Meinungsfreiheit und droht mit einer Klage in Straßburg
ISTANBUL taz ■ Trotz massiver Proteste der türkischen Journalistenvereinigung ist gestern nach zweimonatiger Verzögerung die große Strafrechtsreform in der Türkei in Kraft getreten. Das Reformwerk, welches das alte Strafrecht von 1923 komplett ersetzt, war von der EU 2004 als eine der wesentlichen Voraussetzungen für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei angemahnt worden.
Bei den parlamentarischen Beratungen im letzten Jahr spielten vor allem Fragen wie die Abschaffung von Strafmilderung bei so genannten Ehrenmorden oder das Verbot von Jungfrauentests eine Rolle und die regierende AKP sorgte mit dem Vorschlag für Furore, Ehebruch wieder unter Strafe zu stellen.
In den letzten Wochen waren es zwei andere Punkte, die das Inkrafttreten des Gesetzes verzögert hatten. So hatten Journalistenverbände und Verlage gegen Einschränkungen der Meinungsfreiheit protestiert. Die Opposition wehrte sich dagegen, dass die Regierung die Strafe für den illegalen Betrieb von Koranschulen reduziert hat. Nun sind statt Haft- nur noch Geldstrafen vorgesehen.
Den Journalisten und Verlagen geht es um zwei Punkte: Einmal wird das Persönlichkeitsrecht von Politikern und anderen Personen des öffentlichen Lebens gestärkt, was für Paparazzi, aber auch Karikaturisten ein Problem ist. Insbesondere Premier Erdogan überzieht regelmäßig Karikaturisten und andere Kritiker mit Prozessen, weil er sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sieht.
Im zweiten Punkt geht es um den Straftatbestand der Verunglimpfung des Staates – einen dehnbaren Paragrafen, bei dem in der Begründung des Gesetzes als Beispiel der Völkermord an den Armeniern genannt worden war. Angesichts der schwammigen Formulierung ist absehbar, dass künftig vor allem die Meinung eines Richters ausschlaggebend dafür sein wird, ob eine Formulierung strafbar ist oder nicht.
Der Vorsitzende des Journalistenverbandes Oktay Eksi hatte die Regierung vor wenigen Tagen noch einmal aufgefordert, diese Einschränkung der Meinungsfreiheit aufzuheben. Wenn nicht, will der Verband vor dem Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg klagen. Die parlamentarische Opposition hat vor allem mit den Korankursen Probleme. Sie bezeichnet die Strafmilderung für Korankursbetreiber als Anschlag auf den Laizismus und hofft, dass Staatspräsident Sezer sein Veto einlegen wird. JÜRGEN GOTTSCHLICH
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