Wahlkämpfer selbst definierter Moderne

Lockerer Auftritt vor der Belegschaft der Holsten-Brauerei, Startschuss für innovative Laserblitze bei Desy und wortgewaltiger Optimismus in der prallvollen „Fabrik“: Noch-Kanzler Gerhard Schröder tourt für seine Vertragsverlängerung durch Altona

Von Sven-Michael Veit

Das ist der Kanzler, wie man ihn aus früheren Wahlkämpfen kennt, es ist der Gerhard Schröder, der auf eine Bühne kommt und im Handumdrehen das Publikum im Griff hat. Der wortgewaltig Optimismus ausstrahlt und zugleich Optimismus einfordert von den fast 1.000 Leuten gestern Abend in der überfüllten „Fabrik“ in Altona – und von den doppelt so vielen, die draußen auf der Barnerstraße stehen, vor flugs installierten Lautsprechern. Es ist der wahlkämpfende Regierungschef, der „ohne Wenn und Aber“ zu den „Reformen der Agenda 2010 steht“, auch wenn da, das räumt er ein „noch nicht alles so läuft, wir ich mir das vorgestellt habe“, auch wenn „ich und meine Partei dafür viel Kritik einstecken mussten“. Es ist der regierende Wahlkämpfer der selbst definierten Moderne, des „modernen Zuwanderungsrechts“, der „modernen Energiepolitik ohne Atomkraft“, des „modernen Sozialstaates“, dessen Rettung, daran lässt der Kanzler keinen Zweifel, nur ihm und der SPD gelingen könne. Und der dafür auch noch alle paar Sätze mit tosendem Applaus belohnt wird.

Einen ganz anderen Schröder hatten am Nachmittag die Beschäftigten der Holsten-Brauerei genießen dürfen. Leutselig, ein wenig burschikos fast hatte der Kanzler sich gegeben in der Kantine vor den etwa 300 MitarbeiterInnen, hatte sich nach einer nur kurzen Ansprache unter die Beschäftigten gemischt, das Glas Pils in der Hand. Das war der Staatsmann gewesen, der den Kontakt sucht, der dem Dialog nicht ausweicht, der deutlich machen will, dass er sich schon kümmere, wenn was im Argen liege.

Und davon gebe es „eine ganze Menge“, hatte die Betriebsratsvorsitzende Cornelia Felten in ihrer Begrüßungsrede unter reichlich Beifall der Belegschaft erklärt. Mehr Arbeitsplätze müssten her, mahnte sie, und mit der immer mehr zunehmenden „Belastung“ der ArbeitnehmerInnen durch die Politik müsse „jetzt langsam mal Schluss sein“. Deshalb sei es eine „gute Gelegenheit, Ihnen zu sagen, was uns auf der Seele brennt“.

Und eine gute Gelegenheit für Schröder, mit wenigen wohlgesetzten Worten Punkte zu sammeln. Mitbestimmungsrechte der Belegschaft seien „kein Schwachpunkt für Unternehmen“, verkündet er, sondern unverzichtbarer Bestandteil „des Dialogs und der Kultur in einem Betrieb“. Von der „Augenhöhe“ zwischen den Tarifparteien spricht er, die gewährleistet sein müsse, von der Notwendigkeit, „die Flexibilität von Unternehmen nicht über die Sicherheit der Arbeitsplätze zu stellen“ – globalisierter Wettbewerb hin oder her. Für ein paar Klatscher reicht das.

Und innovativ müssten die Firmen sein, mahnt Schröder, so wie Holsten es sei. Wenige Minuten zuvor hatte er eine neue Abfüllanlage für PET-Flaschen besichtigt, mit denen der Konzern die Verluste beim Dosenbier ausgleichen will. Sich solchermaßen „auf veränderte Herausforderungen einzustellen“, ist nach Schröders Geschmack, denn die Politik könne nicht mehr als „für vernünftige Rahmenbedingungen zu sorgen“. Deshalb das Dosenpfand, das „ökologisch erforderlich ist“, deshalb die neue PET-Anlage, mit der Holsten „die richtige ökonomische Antwort“ gebe.

Locker, souverän, volksnah ist Schröder an diesem Nachmittag in der Brauerei, und als Vorstandsmitglied Wolfgang Burgard in seiner Ansprache einfließen lässt, er wisse, dass auch „der Herr Bundeskanzler gern mal zu einem Bier greift“, da greift der Kanzler prompt zu seinem Holsten, prostet den Kameraleuten und Fotografen zu und nimmt einen Schluck. Die Belegschaft lacht, die Kameras surren, die Blitze zucken.

Noch ein Punkt für den Medienkanzler.