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in fußballlandDer Brandmeistertrainer

Christoph Biermann über die mühsamen, aber durchaus notwendigen Löschaktionen des ehemaligen Bayern-Coachs Ottmar Hitzfeld

Die Welt von Ottmar Hitzfeld ist eine, in der man wohl lieber nicht leben möchte. In ihr wimmelt es nämlich von möglichen Konflikten, die der große Meistertrainer „Brandherde“ zu nennen pflegt. Einen wesentlichen Teil seiner Arbeit hat er damit zugebracht, diese Konflikte zu vermeiden oder mit der Wasserspritze unterm Arm die schon ausgebrochenen Brände zu löschen. Kürzlich erzählte Hitzfeld vielen hundert Kollegen auf einem Kongress von Fußballtrainern über „Die erfolgsorientierte Führung einer Profimannschaft – die Kompetenzbereiche eines Trainers“, doch nicht selten klang das wie die Erinnerungen eines Brandmeisters im einsamen Kampf gegen die Feuerteufel des Fußballs.

So hatte etwa Franz Beckenbauer auf dem Weg zum mitternächtlichen Bankett das heute legendäre 0:3 seiner Bayern in Lyon noch verständnisvoll kommentiert, verspottete die Profis während seiner Tischrede dann aber als „Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft“. Also musste Hitzfeld schon vor dem ersten Gang den Löschsand herausholen und vor allem Stefan Effenberg beruhigen („Der ist ja ein netter Kerl, kann viel einstecken und hatte schon einen ganz roten Kopf.“), damit der nicht seinerseits auf Beckenbauer einteufelte. Was wiederum die Presse so befeuert hätte, dass im nächsten Moment der ganze FC Bayern in Flammen gestanden hätte. Hitzfeld aber wendete den Groll der Profis in Energie und gewann noch im gleichen Jahr die Champions League.

Doch was ist zu tun, wenn sich Schwelbrände doch entzünden? „Ich dachte schon, der Bixente läuft so komisch“, erzählte Hitzfeld über einen ebenfalls berühmten Vorfall im Training. Im nächsten Moment hatte Lizarazu zugeschlagen und – Patsch! – Lothar Matthäus eine Ohrfeige verpasst. „Da hatte sich was aufgestaut, Lothar wollte bei fünf gegen zwei nicht in die Mitte und ja …“, rekapitulierte der Coach. Die Presse hatte es gesehen, dann verließ Matthäus auch noch wortlos den Trainingsplatz; der eine Weltmeister ein Schläger, der andere Weltmeister trat ab, ohne sich abzumelden – München’s burning! Also bestellte Hitzfeld den Franzosen sofort in die Kabine, doch da taten sich ungeahnte Probleme auf. „Als ich da ankomme, steht Lothar nackt vor mir“, erzählte Hitzfeld. Das Grauen kann man sich ausmalen, doch Hitzfeld fand die Zauberformel, für die ihm seine Kollegen auch Jahre später noch tosenden Beifall spenden. „Ich sag: ‚Lothar, zieh was an!‘“ Der Rest war klassische Brandbekämpfung per Aussprache und Geldstrafe, und bald schon holte der FC Bayern seine 128. deutsche Meisterschaft.

Doch nicht nur in der Welt der Fußballgrößen gibt es Konflikte, überall können Feuersbrünste ausbrechen. Auf seiner ersten Station, beim irrtümlich für gemütlich gehaltenen schweizerischen Zweitligisten SC Zug, hatte Hitzfeld es mit einem despotischen Vereinspräsidenten zu tun, „ein Bauunternehmer, der 5.000 Akkordarbeiter unter sich hatte“. Mit den Kickern sprang der grobe Präsident nicht minder rau als mit seinen Männern vom Bau um. Niederlagen konnte er nicht ertragen und hatte es dann zumeist auf Rolf Fringer abgesehen, den späteren Trainer des VfB Stuttgart. „Der steht immer nur vorm Spiegel rum und spielt wie ’ne Tunte“, so hatte sich Macher und Mäzen des Klubs über Fringer nach einer Partie besonders echauffiert, erzählte Hitzfeld.

Der junge Coach wollte den Wüterich beruhigen, geriet dadurch aber selbst in Gefahr. „Und du redest immer wie ein Prediger“, rief der Präsident und stürzte sich auf Hitzfeld. Um allen Zuhörern zu zeigen wie, griff sich der Coach an die Kehle. Hitzfeld in höchster Gefahr und lodernden Flammen … „Da ging die Tür auf, ich sollte zur Pressekonferenz kommen“, sagte er und ließ die Hand sinken. „Das hat mich gerettet.“

Schreierei und Würgegriffe in der Kabine – für den erfolgreichsten Vereinstrainer aller Zeiten war dieser Moment in einer Schweizer Umkleidekabine ein entscheidender seiner Karriere: „Da habe ich gedacht: Das ist mein Element!“ Wie gesagt: In der Welt von Ottmar Hitzfeld möchte man wohl lieber nicht leben.

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