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Palaver gegen internationale Atomängste

■ Sonderkonferenz der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO): Beruhigungspillen für die Welt / Von Thomas Scheuer

bitte Bild mit Bus und Verkehrsschild oben beschneiden Lecker sah es aus, das Atomkraftwerkchen aus Marzipan, das die Aktivisten von „Greenpeace“ dem bundesdeutschen Umweltminister Wallmann und Gemahlin am Dienstagabend in Wien überreichten - zusammen mit 160.000 Unterschriften und der Aufforderung, durch Verzehr der süßen Attrappe einen persönlichen Beitrag zum Ausstieg aus der Atomenergie zu leisten. Doch der Minister blieb bei Wiener Schnitzel und Brathändln, das Marzipan–Meilerchen wurde vom Küchenpersonal in Susi Oppolzers traditionsreichem Heurigen– Beisel entsorgt. Konzertierte Aktion Zum Heurigen in Wiens weinseeligem Vorort Grinzing hatte Wallmann, titelmäßig besorgt um die Reaktorsicherheit im Lande, die Journalisten geladen, um bereits am Vorabend der gestern begonnenen ersten außerordentlichen Generalversammlung der Internationalen Atomenergie–Behörde (IAEA) über Reaktorsicherheit deren Ergebnis vorab zu feiern: „Die Initiative unseres Bundeskanzlers Kohl ist schon jetzt ein Erfolg.“ Tatsächlich hatte die Bonner Regierung direkt nach der Katastrophe von Tschernobyl als eine der ersten eine weltweite konzertierte Aktion zur Beschwichtigung des aufgewühlten öffentlichen Bewußtseins angemahnt. In dreiwöchigen, „hoch qualifizierten, von Erfolg gekrönten Expertengesprächen“ (Wallmann) hatten Diplomaten und Atomspezialisten aus rund 60 Staaten im August dann hektisch die Havarie des Expertenmythos im öffentlichen Bewußtsein zu beheben versucht. Doch von dem großartig proklamierten Ziel eines weltweit einheitlichen Sicherheitsstan dards für Atomanlagen blieben nur die Entwürfe für zwei internationale Abkommen über Informationsaustausch und gegenseitige Hilfe bei kerntechnischen Unfällen - zu Papier geronnene Augenwischerei. Augenwischerei Was Wallmann nun als „Beginn einer weltweiten Diskussion über Reaktorsicherheit“ verkauft - Sicherheitsstandard und gegenseitige Haftung bleiben nach seinen Worten „auf der Tagesordnung“ - liest sich bei näherem Hinsehen mehr als bescheiden: Die Konvention über Hilfeleistungen bei Atomunfällen bringt es nur zu einer Absichtserklärung; gegen eine verbindliche Verpflichtung zur gegenseitigen Hilfe sträubten sich so gut wie alle Regierungen. Die angestrebte Konvention über den Informationsaustausch fällt nicht weniger schwammig aus: Nach ihr muß ein Staat die anderen Unterzeichnerstaaten direkt - oder auf dem Umweg über die Wiener IAEA–Zentrale - zwar über alle Details ins Bild setzen, aber nur wenn eine Gefährdung zu befürchten ist. Diese Einschätzung aber bleibt der jeweiligen Pannenregierung vorenthalten. Streit um Atomwaffen Die Vorverhandlungen waren von den typischen Ost–West–Differenzen überlagert: Die Ostblockvertreter hatten anfangs - getreu Gorbatschows aktueller Linie in der Atomtestfrage - auf die Einbeziehung von Atomwaffenversuchen in die Pflicht zum Datenaustausch gepocht, die Amis natürlich strikt abgelehnt. Der Einbezug von Unfällen bei militärischen Atomanlagen oder gar -waffen in die Meldepflicht war überhaupt der umstrittenste Punkt. Auch hier mogelte man sich durch: Zivile Atomanlagen werden am Anfang des Textes konkret aufgelistet und definiert; weiter unten ist dann vage von „anderen“ kerntechnischen Unfällen die Rede, worunter - je nach Definitionslaune - Pannen in militärischen Anlagen verstanden werden können oder auch nicht. Die Kernwaffenstaaten werden im Verlaufe der Sonderkonferenz diese Woche voraussichtlich Erklärungen abgeben, in denen sie eine freiwillige Meldepraxis auch bei militärischen Atom–Pannen in Aussicht stellen wollen. Selbst einem bundesdeutschen Delegationsmitglied mutete der Gedanke an die Betitelung einer Atombombenexplosion als „kerntechnischer Unfall“ schlicht „makaber“ an. Keine Verbindlichkeit Umstritten war und ist auch die zukünftige Funktion der IAEA im weltweiten Atompoker, unter deren Regie diese 1. Sonderkonferenz über Reaktorsicherheit bis Freitag in den Prunksälen der einst kaiserlichen Hofburg am Wiener Heldenplatz stattfindet, bevor dann nächste Woche ebenfalls dort die reguläre 30. IAEA–Generalversammlung steigt. Während Schweden und die UdSSR die IAEA zu einer regelrechten Kontrollbehörde forcieren wollten, soll sich vor allem Frankreich mit Rückendeckung weiterer westlicher Industriestaaten gegen diesen Plan gesträubt haben. Die beiden Konventionen sollen am Freitag verabschiedet werden. Rund 70 - 80 der 113 in Wien vertretenen IAEA–Mitgliedsstaaten sollen bereits die Unterzeichnung angekündigt haben, was zunächst aber noch keinerlei völkerrechtliche Verbindlichkeit bedeutet, da die Verträge noch die in den jeweiligen Ländern üblichen juristischen Prozeduren durchlaufen müssen. „Greenpeace“ ausgesperrt Nicht einigen konnte der am Montag und Dienstag in Wien zur Vorbereitung tagende IAEA–Gouverneursrat sich auf die Zulassung der Umweltschutzorganisation „Greenpeace“ als sogenannte „Non–Governmental Organization“ (NGO) mit Beobachterstatus, obwohl „Greenpeace“ die im IAEA–Statut festgelegten Bedingungen für die Anerkennung - Befassung mit Nuklearfragen, Betätigung auf internationaler Ebene - rein formal gesehen zweifellos erfüllt. Da kein Konsens unter den Regierungsvertretern möglich gewesen sei, so IAEA–Chef Hans Blix, habe er einen entsprechenden „Greenpeace“–Antrag zurückgewiesen. Die Atomlobby ist selbstredend mit zahlreichen Organisationen wie dem Europäischen Atomforum, dem Atomic Industrial Forum (USA) oder der European Nuclear Society unter Leitung von NUKEM–Direktor Fink auf der NGO–Liste üppigst vertreten. „Greenpeace“ hat eine Reaktion auf seine Aussperrung für den heutigen Donnerstag angekündigt - den Ort werden die Journalisten allerdings erst um sechs Uhr in der Früh erfahren.

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