Von Guerilleros und gewöhnlichen Banditen

■ Der Bürgerkrieg im indischen Punjab hat die Beziehungen zwischen Sikhs und Hindus vergiftet / Militante Organisationen beider Lager haben regen Zulauf / Die Grenzen zwischen Banditen und Guerilla sind fließend

Von Richard Weintraub

Tarn Taran, Nordindien (wps) Soweit das Auge blickt, erstrecken sich die Reis–, Zuckerrohr– und Maisfelder, unzählige Bewässerungskanäle durchschneiden die sattgrüne Landschaft, Bauern gehen hinter fetten Ochsen her oder bestellen mit dem Traktor ihr Land. Ab und an liegen hohe Stapel reifen Weizens am Wegesrand, die letzte Ernte war so gut, daß die Lagerhäuser der Regierung sie nicht fassen können. Hier, im nordwestindischen Bundesstaat Punjab liegt das Kernland der sogenannten „Grünen Revolution“, deren neue Anbaumethoden dem Subkontinent in den letzten Jahren zu beispiellosen Getreideüberschüssen verholfen haben. Doch trotz des Wohlstandes und der relativ fortgeschrittenen Modernisierung der Gesellschaft sind die Beziehungen zwischen den Religionsgemeinschaften der Hindus und Sikhs weit gespannter als in anderen Staaten, herrschen vielerorts Terror und Angst. Ein nächtliches Klopfen an der Tür kann den Tod bedeuten, die Menschen sprechen nicht mehr offen zu Unbekannten. Nach Jahren der Agitation für einen unabhängigen Sikh–Staat Khalistan tritt die Gewalt in nahezu jeder Kombination auf: Sikhs gegen Sikhs, Sikhs gegen Hindus, Polizei gegen Sikhs. Obschon die Regierung unter Rajiv Gandhi seit Monaten den „Sieg über den Terrorismus ankündigt und immer neue Polizeieinheiten in die Unruheprovinz schickt, ist der Konflikt weder für die Bauern in den Dörfern noch für die militanten jungen Aktivisten im Goldenen Tempel von Amritsar gelöst, und viele vergleichen das willkürliche Töten im Punjab schon mit dem Terror der Milizen im Libanon. „Wir haben weder vergessen noch können wir vergeben“, sagt zum Beispiel Sukwant Singh, Führer des militanten Studenten verbandes der Sikhs: „Nach Indira Gandhis Ermordung (durch militante Sikhs) wurden Sikhs getötet und ausgeraubt, ihre Frauen gedemütigt. Solange die Regierung in dieser Angelegenheit nichts unternimmt, wird das Töten weitergehen.“ Sukwant Singh ist typisch für eine neue Generation von Sikhs, deren Bildung und deren Erwartungen aufgrund des neuen bäuerlichen Reichtums ihrer Väter weiter sind als ihre Auf stiegsmöglichkeiten im Staatsapparat. Die Tatsache, daß vor kurzen 14 Hindus von einem bewaffneten Sikh in einem öffentlichen Linienbus im Südpunjab erschossen wurden, rührt ihn nicht, denn: „Wie viele Sikhs wurden in der Vergangenheit erschossen, ohne daß ein einziger Hindus zu Schaden kam?“ Deshalb ist es für Sukwant Singh nur folgerichtig, daß die Studentenorganisation Jugendliche im Gebrauch des traditionellen Sikh–Schwertes und anderer Waffen trainiert. Auf lokaler Ebene eskaliert die Gewalt aber oft nicht aufgrund echter politischer Kontroversen, sondern durch Mißgunst, Verrat und daraus entstehendem Mißtrauen. So erklärte ein verschuldeter Hindu, der sein Haus abgebrannt hatte, 27 namentlich benannte Sikhs hätten den Brand gestiftet. Alle 27 wurden verhaftet und schwer gefoltert, bevor die Affaire aufgedeckt wurde. 27 neue Militante dürften das Resultat gewesen sein. Mittlerweile richtet sich die Gewalt aber nicht nur gegen Hindus, sondern auch gegen Sikhs, die als „gemäßigt“ verschrieen sind oder wohlhabend genug, um sie für „Spenden“ heranzuziehen. Diese „reichen Bauern“ erhalten Drohbriefe oder nächtlichen Besuch von maskierten Gestalten, die mit vorgehaltener Maschinenpistole Geld und Nahrungsmittel für das Zentrum der Militanten in Maand verlangen. „Niemand kennt sie“, sagt Surjit Singh, einer der betroffenen Farmer. „Sie kommen, weil wir gut essen, und sie denken, wir haben auch Geld hier. Wenn wir der Polizei Bescheid sagen, erklären sie uns, daß sie nicht genug Beamte haben, um unser Dorf zu schützen, es gibt zu viele davon.“So tröstet Surjit Singh sich damit, daß seine nächtlichen Besucher vielleicht auch ganz gewöhnliche Banditen sein könnten, die die Gegend seit langem drangsalieren und baut eine Mauer um sein Haus und Getreidelager. Hindus haben unterdessen - vermeintlich zur Verteidigung gegen Sikhübergriffe - eigene Bürgerwehren aufgebaut. Allein die rechtslstige Shiv Sena bringt es inzwischen auf 100.000 Mitglieder. Ihre kategorische Weigerung zu einer Einigung mit den „Terroristen“ verhindert nach Ansicht der wenigen verbliebenen unabhängigen Geister im Punjab eine Versöhnung der Bevölkerungsgruppen. „Die Regierung müßte mit den inhaftierten Studentenführern reden“, meint der Industrielle Dilbir Singh. „Aber die Hindus wollen nur den Terrorismus oder was sie dafür halten zerschmettern. Damit werden sie sich neue Probleme aufhalsen.“