: P O R T R A I T Aus der Verbannung nach New York
■ Der sowjetische Bürgerrechtler Juri Orlow durfte im Zuge des Daniloff–Deals in die USA ausreisen / Orlow, Mitglied der Helsinki–Gruppe, war von 1977 an in den Händen des KGB
Berlin (taz) - Der Kampf mit den Behörden um ihren Mann in der Verbannung hatte die 40jährige Irina Orlowa sichtbar viel Kraft gekostet. Doch in ihrem Blick spiegelte sich die Energie, mit der sie sich weiter für den 62jährigen Physiker einsetzen wollte. Ein warmer, freundlicher Blick, mit wenig Haß, eher mit Sorge gefüllt. So traf ich sie in Moskau vor einem Jahr. Jetzt ist sie am Ziel. Mit einer Aeroflot–Maschine konnte Frau Orlow mit ihrem Mann Juri die Sowjetunion verlassen, auch wenn es ihren Mann etwas geärgert hat, als Verfechter für Menschenrechte ausgerechnet gegen einen Spion getauscht zu werden. Aber nach neuneinhalb Jahren Arbeitslager und Verbannung war er der Übermacht des Gulags müde. Einst war er ein guter Kommunist, dann stieg ihm sein Erfolg als Physiker in den Kopf, und er wandelte sich zum Antsowjetschik, sagen die einen. Die anderen, die sich bis zum Schluß für ihn eingesetzt hatten, zogen den Vergleich mit Saulus und Paulus vor. Nach seinem Physikstudium trat er 1952 der KPdSU bei und engagierte sich am Moskauer Institut für theoretische und experimentelle Physik. Später schrieb er über sich, daß damals zum ersten Mal sein Glaube in das System gebrochen wurde, als ihn der KGB aufforderte, seine Kollegen zu bespitzeln. Doch er habe abgelehnt. Der Glaube wuchs, als Nikita Chruschtschow an die Macht kam und mit Stalin abrechnete. Orlow forderte damals öffentlich eine umfassende Diskussion über Stalins Verbrechen und ging dabei so weit, daß die Parteigremien in der Universität ihm seinen Arbeitsplatz entzogen. Weil er als Physiker wesentliche Beiträge leistete, erreichten seine Kollegen eine Versetzung nach Eriwan, wo Orlow, noch immer Mitglied der Partei, habilitierte und 1968 sogar Mitglied der Akademie der Wissenschaften wurde. Nach vier Jahren wurde er wieder nach Moskau zurückgeholt. Dort protestierte er zusammen mit anderen Wissenschaftlern gegen die einsetzenden Angriffe gegen Andrej Sacharow und engagierte sich wiederum für die Einhaltung der Menschenrechte. Als Orlow mit 300 Gleichgesinnten die „Förderungsgruppe zur Unterstützung der Beschlüsse von Helsinki“ gründete, schlug der KGB zu. Zunächst wurde Orlow überwacht, dann gefangengenommen und am 10. Februar 1977 zu sieben Jahren Lagerhaft und weiteren fünf Jahren Verbannung verurteilt. Während der Lagerhaft sah er seine Frau, die weiterhin für die Helsinki–Gruppe arbeitete, nur einmal. In der Verbannung seit 1984 mußte Orlow als Nachtwächter auf einer Baustelle in Kojbaj arbeiten, wo es im Winter nicht selten bis zu minus 60 Grad kalt wird. Jahrelang hatten weder Petitionen westlicher Parlamentarier noch europäischer Staatschefs etwas geholfen. Nun, durch den Deal um Daniloff, wurde Orlow nach der Verabredung von Shultz und Schewardnadse zunächst in das Moskauer KGB–Gefängnis Lefotovo geschafft, wo er zum letzten Mal seine Söhne Alexander und Lew traf. Nachdem ihm am Samstag die sowjetische Staatsbürgerschaft entzogen worden war, stand auf sowjetischer Seite einer Ausreise nichts mehr entgegen. Florian Bohnsack
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