: Kein Friede ohne Freiheit
■ Auszüge aus der Rede des polnischen Historikers Wladyslaw Bartoszewski zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1986
Nie wurde in Europa so viel wie heute vom Frieden gesprochen, von der Notwendigkeit des Friedens, von der Verteidigung des Friedens, von der Friedensliebe. Manchmal drängt sich die Angst auf, daß in der Flut von Äußerungen und Deklarationen, Beschwörungen und Parolen zu dem Thema der wahre - also der tiefere - Sinn des eigentlichen Begriffes verloren geht... Wir bedienen uns seiner immer häufiger, aber wir denken immer seltener über die Bedingungen nach, die zu erfüllen sind, um Frieden zu einem gemeinsamen Begriff für die gesamte zivilisierte Menschheit zu machen. Dabei hat doch einer der größten deutschen Geister des 20. Jahrhunderts, Karl Jaspers, hier in der Paulskirche in seiner Friedenspreisrede drei Grundsätze formuliert, deren Tiefe und Einfachheit im Lichte heutiger Erfahrungen noch deutlicher sind als 1958: ,Erstens: Kein äußerer Friede ist ohne den inneren Frieden der Menschen zu halten. Zweitens: Friede ist allein durch Freiheit. Drittens: Freiheit ist allein durch Wahrheit. Und ganz eindeutig: ,Erst die Freiheit, dann der Friede in der Welt! Die umgekehrte Forderung: Erst Friede, dann Freiheit täuscht.... Ich gehöre der Generation an, die noch im Schatten der Erfahrungen des Ersten Weltkriegs erzogen und in früher Jugend von der die menschliche Vorstellung übersteigenden Bewährungsprobe des Zweiten Weltkriegs gezeichnet wurde. Aber ich gehöre auch dem Volke an, das nach ungewöhnlich hart erlittener Unfreiheit im 19. Jahrhundert und nach einem kurzen Augenblick des Atemholens seit 1939 in seiner Existenz bedroht ist. Darum wohl hat die Sache des Friedens für mich ein besonderes Gewicht. Aber aus demselben Grund ist sie für mich auch untrennbar von der Sache der Freiheit des einzelnen Menschen und verschiedener Gruppen, von Glaubensfreiheit und Weltanschauungsfreiheit, von der Freiheit in der Wahl des Ortes und der Form des Lebens, der Wahl des politischen und wirtschaftlichen Systems, von der Freiheit des Wortes und vom Freisein von Angst. So lange diese Existenzbedingungen der Menschen nicht erfüllt sind, so lange sie nicht einmal auf unserem alten europäischen Subkontinent erfüllt sind, der sich auf die Tradition von so vielen Generationen von Menschen beruft, die aus gemeinsamen Quellen der Kultur und Zivilisation schöpften, so lange werden wir die Fundamente eines dauernden Friedens nicht sichern...“ Die ganze zivilisierte Welt verurteilt in den letzten Jahrzehnten die Unterdrückung der Regierten durch die Regierenden. Leider gelang es uns bisher nicht, die Institution der Gewissenshäftlinge, Folterungen durch politische Polizei, Unterdrückung wegen einer Konfession oder einer Weltanschauung, Mord an Priestern verschiedener Konfessionen und verschiedene Arten von Zwangsarbeitslagern und Konzentrationslagern nur noch aus der Literatur zu kennen... In der Entscheidung der Jury... sehe ich eine mittelbare Anerkennung des Weges aller meiner Landsleute - und es sind ihrer viele Millionen -, die mit großer Opferbereitschaft, in stillem Widerstand und dabei mit weit größerem Realitätssinn, als man ihn oft den Polen zuschreibt, ihre Stimme zur Verteidigung der ethischen und sozialen Grundsätze erheben... Ich denke an die mächtige soziale Bewegung, der nur in dem kurzen Zeitabschnitt von einigen Monaten eine von der Staatsgewalt der polnischen Volksrepublik akzeptierten Tätigkeit genehmigt worden war - bekannt unter dem Namen „Solidarnosc“, Solidarität... Im Verlauf der letzten paar Jahre haben sehr viele Menschen guten Willens in Deutschland im Geiste der Nächstenliebe und der Solidarität dem polnischen Volk Hilfe geleistet. Die volle psychologische Bedeutung dieser Tatsache wird sich vielleicht in der Zukunft als noch wichtiger erweisen als ihre unzweifelhafte materielle Bedeutung... Auf jeden Fall rechnen die Polen auf das Verständnis und die Solidarität des deutschen Volkes, die ein wichtiger Faktor beim Bau von Brücken zwischen unseren Völkern werden können.“
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