: Gipfelchronik: Nichts mit hartem Rand
■ Alles war schon einmal da: Gipfel, die keine waren, Atomteststopps und andere Kuriositäten
„Wir lassen uns nicht zehn Jahre Politik durch eine Redewendung zerstören. Der Präsident hat es nicht so gesagt. Und wenn er es gesagt hat, dann hat er es nicht so gemeint. Und wenn er es so gemeint hat, dann hat er sich eben geirrt.“ Das Dementi amerikanischer Rüstungsexperten traf nicht etwa Ronald Reagan in Reykjavik, der ohne die führende Hand seiner Frau auskommen mußte. Dwight D. Eisenhower hatte im Juli 1955 gerade einen Abrüstungsplan aus dem Stegreif vorgetragen, den keiner seiner Mitarbeiter kannte und der erst mit dem Ende der KVAE 1986 in Stockholm in greifbare Nähe gerückt ist: „Wir geben einander einen vollständigen Plan unserer militärischen Einrichtungen im ganzen Land..., und so wird die Möglichkeit eines Überraschungsangriffs geringer werden.“ Damals hingegen war das Gipfeltreffen der Kalten Krieger und Siegermächte des Zweiten Weltkrieges in Genf schon nicht über die Tagesordnung einig. Der Westen wollte zuerst über Deutschland reden und dann erst einen europäischen Sicherheitspakt entwerfen, die Sowjets wollten es gern andersrum. 1959 erstmals in den USA, hängte Chruschtschow nach der Ankunft auf dem Militärflughafen Andrews seinen schwarzen Filzhut über einen Messingständer und beschied die wohlstandsbesessenen Amerikaner: „Was für Euch Freiheit ist, ist für uns Sklaverei.“ Bei seinen Gesprächen mit Eisenhower ging es um den Status Berlins und etwas mehr Freundlichkeit im Kalten Krieg. Die freilich war Chruschtschow nicht angeboren, was er ein Jahr später in Paris bewies. Die vier Siegermächte hatten sich trotz des vom sowjetischen Himmel geholten US–Spionageflugzeugs U–2 zum Gipfeltreffen in der Stadt eingefunden. Doch dann trafen sie sich nur zu Vorgesprächen - ähnlich wie in Reykjavik -, weil Chruschtschow vom US–Präsidenten Eisenhower eine Entschuldigung für den Spionageflug hören wollte. Eisenhower wollte seinerseits den Luftzwischenfall nicht zum Gipfelthema machen und verweigerte eine weitere Begegnung mit dem Sowjetchef. Nachdem der noch sein Verhältnis zur Spionage dargeboten hatte - „Gott ist mein Zeuge. Meine Hände sind sauber, mein Herz ist rein“ -, ließ er das Treffen platzen und flog nach Ostberlin. 225 Minuten Gipfelgespräch und 33 Zeilen Kommunique, die nichts besagten und nichts entschieden, kamen 1961 in Wien heraus, wo John F. Kennedy auf den ukrainischen Bauernsohn traf. „Unsere Hoffnungen, daß die Atomwaffenversuche aufhören, daß keine weiteren Länder mehr Atomwaffen bekommen werden und daß der Rüstungswettlauf sich irgendwie verlangsamen wird, haben einen schweren Schlag erhalten“, erklärte Kennedy hinterher seiner Fernseh–Nation. „Ein Nichts mit hartem Rand“ nannte die New York Times dieses Ergebnis. Erst Richard Nixon, der als erster US–Präsident nach Moskau gereist war, brachte einige zivile Abkommen zustande. Im November 1974 trafen sich Breschnew und Nixon–Nachfolger Ford in Wladiwostok. Der SALT II–Vertrag wurde entworfen. Aus der Abrüstung wurde die reglementierte Aufrüstung beider Supermächte. Sechs Jahre später trafen sich die Repräsentanten der Supermächte wieder. Reagan und Gorbatschow vereinbarten eine Serie von Gesprächen. Das Kennenlernen stand im Vordergrund. Florian Bohnsack
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