: Amerikas Vietnam–Trauma als Comic–Fun
■ Geschichtsbewältigung auf amerikanisch: Comic soll Auseinandersetzung über den Indochinakrieg fördern / „The Nam“, so der Titel, reproduziert die alten Klischees: Feiste, korrupte Vorgesetzte und zynische, ausgemergelte Soldaten / Erster Band findet reißenden Absatz
Washington (dpa) - „Deckung“ schreit ein Sergeant aus weit aufgerissenem Mund. Gefreiter Marks bleibt stehen, schaut verdutzt. Ein Kamerad muß ihn schließlich ins Gebüsch zerren, als die Gewehrkugeln um seine Füße herum einschlugen. Die ganze Szenerie ist in Purpurrot getaucht, und der Sergeant ruft aus dem Hintergrund: „Gebts ihnen, aber kräftig!“ Dies ist kein Auszug aus dem Drehbuch für den neuesten Rambo–Reißer, sondern ein neuer US–Comic namens „The Nam“, das sich ausschließlich mit dem Krieg in Viet nam beschäftigt. „Wirklichkeitsnähe“ ist das Zauberwort der Macher des Monatsheftes. Keine strahlenden Helden und unbesiegbaren Kommunistenfresser sollen präsentiert werden. Im Gegenteil: Es wird Tote in den eigenen Reihen geben, ebenso Hunger, Elend und Frust. Ein redaktioneller Kniff soll „The Nam“ noch realistischer machen. Die Handlung wird jeweils in „Echtzeit“ fortgesetzt - wenn auch mit 20 Jahren Differenz. Das heißt: Immer wenn der Käufer am Kiosk das nächste Heft ersteht, ist auch für die Soldaten der 23. In fanterie–Division ein ganzer Monat ins Land gegangen. Logischerweise endet die Serie im Jahre 1994 mit dem Auszug der Amerikaner aus der Botschaft in Saigon. Die 23. Infanterie–Division selbst ist eine Erfindung, alle Geschehnisse rund um die Einheit beruhen jedoch auf Tatsachen. Autor Doug Murray hat dazu jahrelang in Zeitungsarchiven recherchiert. Auch er war zweimal als Soldat in Vietnam. Nach seinem Dienstende 1972 bot er sich der Armee als Chronist an, stieß aber auf taube Ohren. „Das Thema war damals einfach tabu“, sagt der 38jährige. Heute erhofft er sich von den Comics einen gewissen Abschreckungseffekt. Eine bestimmte Zielgruppe habe der Comic nicht. „Natürlich blättern Vietnam–Veteranen in den Heften, aber wenn einige Teenager nach der Lektüre anfangen, ihren Vätern Fragen zu stellen, wäre ich sehr zufrieden“, sagt Murray. „The Nam“ verherrlicht den Krieg keineswegs, es verdammt ihn aber auch nicht. „Wissen Sie, Ideologie ist dort unten ziemlich bedeutungslos. Da gibt es nur Schmutz, Unbehagen und den Willen zu überleben“, beschreibt Jerry Hama auch eigene Erfahrungen. Ob das den Lesern aber klar wird, ist zweifelhaft. Die Charaktere sind klischeehaft: Feiste, korrupte Vorgesetzte und ausgemergelte, zynische Soldaten. Die Sprache ist zwar militärisch, aber dennoch zensiert. Die Autoren mußten den derben Sprachschatz der Soldaten „zivilisieren“, um nicht auf dem Index zu landen. Am Ende des ersten Heftes, das in fast allen Läden vergriffen ist, weiß der Leser, wie Tretminen funktionieren, daß Flußwasser mit Jodtabletten gereinigt wird und ...
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