NS–Prozeß ins Krankenhaus verlegt?

■ Angeklagter NS–Arzt ließ beinahe den Prozeß platzen / Richterin kam einer möglicherweise vorgetäuschten Krankheit zuvor / Angeklagte behaupten, nur sogenannte „Endzustände“ „von ihren Qualen erlöst“ zu haben

Frankfurt (taz) - Der Frankfurter Prozeß gegen die beiden NS– Ärzte Dr. Aquillin Ullrich und Dr.Heinrich Bunke ist gestern beinahe geplatzt. Den beiden Angeklagten wird vorgeworfen, im Rahmen der nationalsozialistischen Vernichtungsaktionen von „unwertem Leben“ mehrere tausend angeblich geisteskranke enschen ermordet zu haben. Der 72jährige Bunke erschien nicht zum Termin und ließ durch seinen Anwalt Lohmann mitteilen, daß er in Celle im Krankenhaus liegt. Prozeßbeobachter vermuten hinter der plötzlichen Krankheit eine Finte des Angeklagten: Gestern waren erstmals zehn Tage zwischen zwei Prozeßterminen verstrichen. Bisher wurde im Abstand von sieben Tagen verhan delt. Bei einer Unterbrechung von mehr als zehn Tagen platzt der Prozeß. Richterin Dierks und ihre Beisitzer zeigten sich jedoch gut vorbereitet. Sie trennten Bunkes Prozeß vorübergehend ab, verhandelten zehn Minuten gegen Ullrich und stiegen dann in einen Reisebus, der bereits vor dem Gerichtsgebäude wartete. Ob es im Celler Krankenhaus zu einer Notverhandlung kam, war bei Redaktionsschluß noch nicht bekannt. In der Kurzverhandlung gegen Ullrich beantragte dessen Anwalt Meub, Zeugen zu hören, die bestätigen könnten, daß viele der Opfer „ruhig gestellt“ waren. Dadurch hätten die Opfer den Eindruck von „geistig Toten“ erweckt. Michael Miersch