Die Gipfeldiplomatie ist am Ende

■ Nach dem gescheiterten Treffen in Reykjavik gibt es keinen neuen Termin für ein Gespräch zwischen Reagan und Gorbatschow Trotz Entgegenkommen der UdSSR beharrt Reagan auf seinem SDI–Konzept / Schuldzuweisungen zwischen Warschauer Pakt und NATO

Von Florian Bohnsack

Berlin (taz) - „Darauf können sich nur Wahnsinnige einlassen“, sagte Gorbatschow, als er das Scheitern seiner „Vorgipfel“– Verhandlungen mit Reagan erklärte. Nach vier Gesprächsrunden wurde am Sonntagabend das Treffen zwischen dem US–Präsidenten und dem sowjetischen Generalsekretär ohne Ergebnis beendet. Streitpunkt blieb SDI, Reagans „Strategische Verteidigungsinitiative“ im Weltraum. Reagan, der noch letzte Woche darauf hingewiesen hatte, daß man mit einer Stationierung und Erprobung von SDI im Weltraum frühestens in siebeneinhalb Jahren rechnen könne, schlug Gorbatschows Angebot aus, den Vertrag über Raketenabwehrsysteme (ABM) für weitere zehn Jahre festzuschreiben und darin eine Erprobung von SDI nur im Labormaßstab zuzulassen. Gorbatschow war damit weit von der bisherigen Position der UdSSR abgewichen, die zunächst am ABM–Vertrag mindestens weitere 15 Jahre festhalten wollte, und im Vorfeld des Treffens eine Festlegung auf 10 bis 15 Jahre in Aussicht stellte. Reagan erklärte vor seinem Rückflug in die USA, er habe Gorbatschow noch ein völlig neues Angebot gemacht: Die USA würden die Stationierung von SDI um zehn Jahre hinausschieben, wenn sich die UdSSR mit der völligen Abschaffung aller Atomraketen einverstanden erklärten. „So lange sowohl die USA als auch die UdSSR ihren guten Willen Jahr für Jahr beim Zerstören von Atomraketen beweisen, würden wir SDI nicht stationieren“, sagte Reagan. Gorbatschow schob die Schuld für das Scheitern der Gespräche auf den militärisch–industriellen Komplex in den USA, der dem US– Präsidenten die Hände gebunden habe. US–Außenminister Shultz stellte fest, daß eine Bindung der SDI–Versuche ans Labor das Projekt zerstört hätte, was „die Sicherheit der USA und ihrer Alliierten gefährdet“ hätte. Der Bonner Regierungssprecher Ost blieb optimistisch: Es gebe keinen Zusammenhang zwischen SDI und anderen Abrüstungsfragen, und daher könne nach wie vor mit Vereinbarungen gerechnet werden. Fortsetzung S.6, Kommentar S.4 In allen anderen Fragen hatte man Einigung erzielen können. So sollten die strategischen Atomwaffen innerhalb von zehn Jahren beseitigt und sofort auf 50 Prozent reduziert werden, die Mittelstreckenraketen in Europa verschrottet und in Asien und den USA je 100 Raketen stationiert bleiben. Die Zahl der Kurzstreckenraketen sollte eingefroren werden. Ausgesprochen moderat hat die osteuropäische Presse bisher auf das Scheitern des Gipfeltreffens reagiert. Keine Zeitung in Osteuropa schrieb von einem Scheitern. Das Neue Deutschland betonte sogar, daß das Treffen in Island „im Rahmen der Vorbereitungen auf den Besuch Gorbatschows in den USA“ stattgefunden hätte. Außenminister Shultz konnte sich hingegen auf seiner Presse–konferenz ein weiteres Gipfeltreffen nicht vorstellen, obwohl er gelernt habe, nichts auszuschließen. In den USA reagierte der demokratische Senator Sam Nunn auf das Scheitern der Verhandlungen mit scharfer Kritik an Reagans Regierung. „Die Administration hat ihren Schwerpunkt von der Reduzierung der sowjetischen Erstschlagskapazität auf den Schutz von SDI verlagert, sogar um den Preis eines tiefen Einschnitts in die sowjetische Rüstung.“ Nunn, Befürworter eines SDI–Forschungsprogramms kündigte für die Zeit nach den Wahlen einen verstärkten Widerstand gegen das SDI– Projekt an. Dagegen war der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Senat, Lugar, zufrieden, daß Reagan „nicht zuerst geblinzelt“ habe. Er sei Reagan dankbar, daß er „uns vor der Falle bewahrt hat, die die Vereinigten Staaten der ständigen Gefahr sowjetischer Raketen ausgesetzt hätte, ohne daß wir unsere Verteidigung in irgendeiner Weise hätten weiterentwickeln können.“ Es sei ein Versuch gewesen, den Genfer Abrüstungsverhandlungen starke Impulse zu geben und eine umfassende Abrüstung einzuleiten. Diese historische Chance sei gescheitert. Shultz, der von Reykjavik nach Brüssel gereist war, um die NATO– Verbündeten zu unterrichten, betonte, es wäre tragisch gewesen, wenn das Treffen Reagan–Gorbatschow nicht stattgefunden hätte. Jetzt, nachdem die Themenkreise und Probleme eingegrenzt seien, müsse man bei den Abrüstungsgesprächen vorwärts kommen. Zwischenabkommen seien immer noch möglich. In Bonn reagierten die Politiker unterschiedlich auf den Gipfel. Während Außenminister Genscher vor einem „unaufholbaren Rückschlag“ in den Ost–West–Beziehungen warnte, sagte der Fraktionsvorsitzende der SPD, Vogel, der Präsident der USA habe eine schwere Verantwortung auf sich genommen.