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Friedensnobelpreis für Elie Wiesel

■ Der jüdische Schriftsteller ist Überlebender der Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald / Engagement für sowjetische Juden und den Staat Israel / Er war heftiger Kritiker von Reagans Bitburg–Besuch

Berlin (taz/dpa/afp) - Ein Signal für den Kampf gegen die Verdrängung und das Vergessen setzte gestern das norwegische Nobelkomitee mit der diesjährigen Verleihung des Friedensnobelpreises: Die wichtigste weltweite Auszeichnung erhielt der in den USA lebende jüdische Schriftsteller Elie Wiesel. Wiesel selbst kennzeichnet seine Arbeit so: „Ich muß das Unaussprechliche immer wieder aussprechen und gegen das Schweigen ankämpfen.“ Er ist Überlebender der Nazi–Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald. In zahlreichen Veröffentlichungen und als Vorsitzender des Rates für die Erinnerung des Holocaust, zu dem er von US–Präsident Reagan ernannt wurde, hat er immer wieder an die qualvollen Erfahrungen in den Konzentrationslagern der Deutschen erinnert. Darüberhinaus gilt sein Engagement vor allem dem Los der Juden in der Sowjetunion, an die er auch bei seinen ersten Stellungnahmen zur Preisverleihung erinnerte. Weltweit bekannt wurde Wiesel zuletzt im Rahmen der Auseinandersetzung um den Besuch US– Präsident Reagans auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Bitburg, auf dem auch SS–Leute begraben sind. Er gehörte zu den schärfsten Kritikern Reagans, dem er eine Verhöhnung der Opfer des Holocaust vorwarf. Wiesel ist mit derartigen, stets von großer Medienaufmerksamkeit begleiteten Aktionen inzwischen zu einer Art Institution geworden. „Keine jüdische Organisation bei uns ist mit einer Sache zufrieden, wenn sie nicht eine Stellungnahme von Elie Wiesel hat“, beschrieb schon 1973 der amerikanische Rabbiner Wolfe Kelman die Rolle des Schriftstellers. Seine Arbeit ist dennoch alles andere als unumstritten. Kritiker werfen Wiesel vor, in erster Linie an seinen persönlichen Bekanntheitsgrad zu denken, wenn er öffentlich Stellung bezieht. Vorgeworfen wurde Wiesel auch, daß sein Engagement für Unterdrückte immer dann aufhört, wenn es mit Kritik am Staat Israel verbunden sein könnte. Der Kritisierte selbst räumt freimütig ein, daß er „starke Gefühle einer Solidarität“ mit dem jüdischen Staat habe. Fortsetzung auf der Tagesthemenseite 3 Kommentar auf Seite 4 Fortsetzung von Seite 1 In seiner Würdigung hielt das norwegische Nobelkomitee fest, Wiesels aus den Leiden des jüdischen Volkes erwachsenes Engagement habe sich auf alle unterdrückten Völker und Rassen ausgeweitet. In einer Epoche vorherrschender Gewalt, Unterdrückung und Rassismus sei Wiesel Träger einer Botschaft des Friedens, der Versöhnung und Menschenwürde. In seiner Botschaft und seinem Wirken für die Sache des Friedens erweise sich Wiesel als überzeugender Fürsprecher einer unbegrenzten Humanität, die Voraussetzung für einen gerechten und dauerhaften Frieden sei. Die Grundthematik von Wiesels Werk ist die Leidensgeschichte des jüdischen Volkes und die Frage nach der Möglichkeit des Glaubens. Der neue Friedensnobelpreisträger erklärte sich in einer ersten Reaktion „sehr bewegt“. Er äußerte die Hoffnung, „daß jetzt ein wenig mehr Leute mich anhören werden“, und nahm die Gelegenheit zum Anlaß, von sowjetischen Dissidenten zu sprechen. Wladimir Slepak müsse zu seiner Familie zurückkehren dürfen und An drei Sacharow aus der inneren Verbannung freigelassen werden. Nach seiner Auszeichnung mit dem Nobelpreis werde er „mit Sicherheit noch mehr tun, denn diese Leute sind meine Brüder“. Die einschneidenden und entscheidenden Erfahrungen seines Lebens waren der Krieg und die KZ–Gefangenschaft. Im Kampf für die Schaffung Israels 1948 übernahm er für eine französische Zeitung die Berichterstattung. Der große französische Romancier Francois Mauriac wurde auf ihn aufmerksam und schrieb 1958 das Vorwort zu Wiesels Erstlingsroman „La Nuit“, der die Kindheitserinnerungen aus einem Konzentrationslager schildert und seine Fortsetzung in „LAube“ (1960) und „Le Jour“ (1961) findet (deutsch zusammen: „Die Nacht zu begraben, Elischa“). Seine erzählerische Begabung bestätigt sich in „Le Mendiant de Jerusalem“ (“Der Bettler von Jerusalem“), für den Wiesel 1968 den begehrten französischen Literaturpreis Medicis erhielt. Weitere Marksteine seines rund dreißig Bände umfassenden schriftstellerischen Werkes sind „Le Testament dun Poete Juif Assassine“ (1980), „Le Cinquieme Fils“ (1983) und zuletzt „Signes dExode“, in denen das Thema des Bösen und Gottes wiederkehrt. In Kürze soll „Le Crepuscule, au loin“ erscheinen. Unter den Bühnenstücken Wiesels ist vor allem „Zalmen ou la Folie de Dieu“ (“Salmen“) zu nennen. „Les Juifs du Silence“ (“Die Juden in der UdSSR“) ist der Niederschlag mehrerer Reisen durch die Sowjetunion.

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