„Welcome in Washington, Georgia“

■ Eindrücke vom Senats–Wahlkampf in der amerikanischen Provinz / In Georgia tritt ein liberaler Demokrat gegen einen republikanischen Senator an, der mehr Geld, aber schlechtere Rhetorik und Argumente auf seiner Seite hat

Aus Atlanta Stefan Schaaf

„Welcome in Washington, Wilkes County“, grüßt ein Schild am Straßenrand. Dieses Washington hat mit Washington D.C. kaum etwas gemeinsam. Nicht nur liegen mehr als 500 Meilen zwischen dem kleinen Nest im östlichen Georgia und der Bundeshauptstadt, auch sonst trennen die beiden Orte geradezu Welten. Auf dem Hauptplatz rührt sich kaum etwas um diese Mittagsstunde. Ein Dutzend zweigeschossiger Backsteinhäuser um ein Stück Gras herum, geparkte Autos und ein Denkmal, das an die Verteidiger der Sklaverei erinnert. Immer noch ist hier nicht überwunden, daß der Bürgerkrieg vor 120 Jahren durch die Niederlage der Konföderierten beendet wurde. Doch die Erinnerungstafel an Jefferson Davis, den letzten Präsidenten der 13 abtrünnigen Bundesstaaten, der auf dem Rückzug auch durch Washington kam, wirkt hoffnungslos nostalgisch, und das ist sie auch. Ein schläfriger Wahlkampf Georgia hat andere Probleme, aktuelle Schwierigkeiten - die Trockenheit etwa, die den gesamten Südosten der USA in diesem Sommer und Herbst plagt; die Krise der Farmer, die unter der Schuldenlast zusammenbrechen; die Arbeitslosigkeit. Genug Themen also, um den seit einigen Wochen laufenden Wahlkampf für einen der beiden Senatorensitze in Washington D.C. zu würzen. Seit sechs Jahren hat ihn der Republikaner Mack Mattingley inne, ein 55 jähriger früherer IBM–Vertreter. Er wurde 1980 auf den Rockschössen Reagans in den Kongreß gespült, als es ihm gelungen war, den Mißmut über den damaligen Amtsinhaber Herman Talmadge zu seinen Gunsten auszunutzen und ihm den Sitz mit gerade 27.000 Stimmen Vorsprung abzunehmen. Der Kandidat der Demokratischen Partei ist der46 jährige Kongreßabgeordnete Wyche Fowler, ein durch und durch liberaler Mann, der die jahrzehntelange Dominanz der Demokraten in Georgia wiederherstellen möchte. In Washington war bis heute keiner von beiden, in diesem Farmer–Ort kommt die Politik, wie fast überall sonst auch, durch die Luft in die TV–Röhre. In zwei, drei Vorgärten steckt ein Pappschild im Rasen: „Wir wollen Wyche“. Vielleicht fährt irgendwo auch ein Auto mit einem Aufkleber herum, auf dem es heißt „Mattingley for Senate“. Damit ist der Wahlkampf in Washington auch schon wieder zu Ende. In den anderen Orten an der Strecke nach Atlanta nicht einmal das. Wer weiß, wie hoch die Wahlbeteiligung in diesen Nestern, deren Zentrum oft nur aus einem Kramladen mit einer zerbeulten Zapfsäule davor besteht, sein wird. Dreißig Prozent? Vierzig? Mit Sicherheit jedenfalls nicht über fünfzig Prozent, dem Bundesdurchschnitt bei den Präsidentschaftswahlen. Auch in Athens, einer Stadt mit immerhin über 100.000 Einwohnern und Sitz der Universität von Georgia, unterhalten die beiden Senatskandidaten kein Büro. Einige studentische Freiwillige setzen sich schon mal ans Telefon, um zögernde Wähler persönlich zu bearbeiten oder Türklinken zu putzen, doch Mobilisierung mag dies keiner nennen. Wahlkampf als TV–Spot Der Wahlkampf in den USA findet eben im Fernsehen statt, in Dreißig–Sekunden–Spots zwischen Kopfschmerztabletten und Hundefutter. Von derlei Substanz sind auch die Argumente, die dort ausgetauscht werden. Mattingleys schärfster Pfeil zielt auf die geringe Anwesenheit seines Gegners bei Abstimmungen im Kongreß. „Fowler - abwesend für Georgia“ wird seit den Vorwahlen im August den Wählern um die Ohren gedroschen, und es nutzt auch nichts, daß der demokratische Kandidat darauf hinweist, er habe von den wichtigen Abstimmungen keine versäumt. Er sehe es jedoch nicht als seine wichtigste Aufgabe an, bei dem Votum über die Rose als Nationalsymbol die Hand mitgehoben zu haben. Doch er hat seinerseits ein ähnliches Argument parat: Mattingley sei jetzt, im Wahlkampf, in Georgia nicht präsent. Den Grund dafür pfeifen die Spatzen von den Dächern: der Senator fühlt sich inmitten von Menschenmengen schlicht unwohl; das traditionelle Mittel des Stimmengewinns - Händeschütteln, immer wieder Händeschütteln - gehört nicht zu seinen Stärken. Fowler hat ihm da einiges voraus, er ist ein guter Redner und Geschichtenerzähler. Außerdem kann er auf eine beachtliche Latte von Initiativen und Gesetzesentwürfen zugunsten der Farmer, der kleinen Geschäftsleute und der älteren Bürger verweisen. Er ist nach zehn Jahren im Repräsentantenhaus ein populärer Mann. Mattingley müßte auch befürchten, wegen seiner unter die Gürtellinie zielenden negativen TV–Kampagne Kritik einzufangen. Er verbringt mehr teure Fernsehminuten mit diffamierenden Behauptungen über Fowler als mit dem Rühmen seiner eigenen Verdienste. Auch das ist falsch, es war sein demokratischer Senatskollege Sam Nunn. Fowlers Flugblätter heben dies ebenso hervor wie Berichte in den Zeitungen von Georgia. Doch was in den Köpfen hängenbleibt, ist das Sperrfeuer der Halbminuten–Spots, die mindestens stündlich das Fernsehprogramm unterbrechen. Geld regiert die Welt - und die Wahl „Wir haben nicht genug Geld, wir können erst in den letzten beiden Wochen vor den Wahlen in ähnlich massiver Form Sendezeit kaufen“, sagt Fowlers Pressesprecher in Atlanta. Und Fowler selbst klagt, es handele sich doch um eine Wahl und keine Auktion. Leider hat er unrecht, versteigert werden die politischen Ämter im heutigen Medien–Amerika, die Siegeschancen steigen proportional zum Wahlkampfkonto. Mattingley führt mit Abstand, mit 3,3 Millionen Dollar gegenüber den 2,1 Millionen in Fowlers Wahlkampfkasse. Die Umfragen spiegeln dieses Verhältnis getreulich wider: Mattingley führte bis vor einer Woche mit sechzehn Prozent Vorsprung, erst des Republikaners mißlungener Auftritt bei der einzigen TV–Debatte der beiden Kandidaten vor einer Woche ließ Fowler die Hälfte des Rückstandes aufholen. Seine Mitarbeiter waren wegen der ungünstigen Prognose der Meinungsforscher nicht weiter deprimiert, diese seien kaum repräsentativ. Die gleichen Meinungsforscher hätten schon bei den Vorwahlen im Hochsommer heftig danebengegriffen. Man kann im Interesse der politischen Kultur in den USA hoffen, daß Fowlers Mitarbeiter richtig liegen. Der Wahlkampf 1986 ist jedenfalls ein neuer Tiefpunkt des politischen Verständnisses und Interesses der Bürger und Bürgerinnen der Vereinigten Staaten.