: Abschiebehaft oder Fluchtburg Berlin?
■ In Berlin wird die geplante Abschiebung von mehreren Hundert Libanesen zum Testfall / Betroffene, Flüchtlingsgruppen, Alternative Liste und Kirchen planen Gegenmaßnahmen / Hoffnung auf politische Klimaveränderung gering
Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - „Lieber will ich sterben, als in den Libanon zurückkehren. Denk an Kemal Altun, der sich aus dem Fenster gestürzt hat!“ Vieles klingt dramatisch und pathetisch, was sich die rund 40 Männer an diesem Donnerstagabend in der kahlen Fabriketage der Alternativen Liste im Berliner Bezirk Schöneberg aufgeregt zurufen. Immer wieder muß der arabische Dolmetscher die aufgeregte Stimmung beruhigen. Aber das ist schwer, wenn die Situation beunruhigend ist. Seit Berlin als erstes Bundesland die Aufhebung des einst vom Parlament beschlossenen Abschiebestopps in den Libanon beschlossen hat, ist die Verunsicherung unter den 1.800 Libanesen und Palästinensern, die bisher mit einer Duldung in der Stadt gelebt haben, stark angewachsen. Als erste müssen die 410 offiziell in Berlin registrierten Libanesinnen und Libanesen in den nächsten Wochen damit rechnen, daß ihnen die Behörde die Ausreiseaufforderung ins Haus schickt oder ihnen beim Gang zur Ausländerpolizei den Stempel „Flugticket vorlegen“ in den Paß drückt. Was soviel heißt wie: entweder du besorgst dir „freiwillig“ ein Ticket für den Rückflug nach Beirut oder wir helfen deiner Rückkehr über den Weg in die Abschiebehaft nach. Bis es in Berlin zu Abschiebungen größeren Ausmaßes in den Libanon kommt, werden voraussichtlich noch einige Wochen vergehen, denn erst muß die Ausländerpolizei noch Ausreiseaufforderungen herausschicken, Fristen setzen und etlichen Flüchtlingen auf diplomatischen Wegen, die Berlins Innensenator jüngst ausgehandelt hat, gültige Papiere verschaffen. Dennoch hat Berlin schon jetzt Pilotfunktion. Nachdem sich die Innenminister der Länder Anfang Oktober darauf geeinigt haben, ohne Rücksicht auf humanitäre Gründe Flüchtlinge künftig auch in Krisengebiete abzuschieben, werden die ersten Abschiebungen in den Libanon nicht nur für die politisch Verantwortlichen ein Testfall sein, sondern auch für die, die mit politischem Druck und praktischer Hilfe doch noch versuchen wollen, diese zwangsweisen Rücktransporte zu verhindern. Ansätze zur Gegenwehr Noch sehr mühsam und vor sichtig regt sich bei den Betroffenen selber Widerstand. Ein Komitee von Libanesen und Palästinensern hat sich gegründet, zu deren Treffen in den Räumen der Alternativen Liste hauptsächlich junge Männer kommen, obwohl, nach den Erfahrungen einiger Beratungsstellen, oftmals die Frauen in den libanesischen Familien die Aktiveren sind. Einen Hungerstreik wollen die einen machen, andere schlagen eine Demonstration vor. Ein dritter will immer wieder wissen, wann er denn nun mit seinen Kindern und befreundeten Familien den Politikern selber auf die Bude rücken kann. Heftig und laut werden die Ideen durcheinander gerufen, bis sich schließlich eine Gruppe bildet, die bereit ist, einen Brief an den Flüchtlingskommissar zu schreiben und eine Demonstration vorzubereiten. Hilflose Versuche der Gegenwehr, an denen sich bisher auch nur sehr wenige der Betroffenen beteiligen. Die Alternative Liste hat parallel zu dieser Betroffenen–Gruppe jetzt eine großangelegte Kampagne unter dem Titel „Fluchtburg Berlin - Keine Abschiebung in den Libanon“ gestartet. Letzte Woche erhielten sämtliche der rund 3.000 AL–Mitglieder einen Brief, in dem sie zur praktischen Unterstützung für Flüchtlinge aufgefordert werden. Praktische Unterstützung bedeutet für die AL die Gründung von Patenschaften, die finanzielle Hilfe für abschiebungsbedrohte Flüchtlinge und die Begleitung von gefährdeten Libanesen bei Behördengängen, um so eine Festnahme zu verhindern. Im Rahmen dieser Kampagne soll jetzt auch die zeitweilige Unterbringung von abschiebungsbedrohten Flüchtlingen organisiert werden. Daß eine solche Unterbringung oder ein „Verstecken“, wie es einige nennen, nur eine vorübergehende Hilfe sein kann, ist dabei allen Beteiligten klar. Sie versprechen sich von einem solchen Akt des zivilen Ungehorsams über den konkreten Schutz hinaus auch eher einen politischen Druck, um den Abschiebestopp wieder in Kraft zu setzen. Skeptische Reaktionen Jürgen Quandt, Pfarrer in der Kreuzberger Heilig–Kreuz–Gemeinde, die seit Jahren in der Flüchtlingsarbeit engagiert ist, reagiert da eher skeptisch: „Es wird sicher möglich sein, in dem einen oder anderen Fall wirkliche Hilfe zu leisten. Aber ich bin nicht sehr optimistisch was die Veränderung des politischen Klimas anbetrifft.“ Trotz dieser eher resignierten Einschätzungen werden gerade die Kirchen diejenigen sein, mit denen die politisch Verantwortlichen in den nächsten Wochen den wohl härtesten Konflikt eingehen müssen. Zahlreiche Berliner Kirchengemeinden und Mitarbeiter/innen aus dem kirchlichen Umfeld werden sich nämlich Mitte November zugunsten der libanesischen Flüchtlinge an die Öffentlichkeit wenden und die Gründung von Patenschaften anregen. Und schon jetzt ist sicher, daß an die zehn Kirchengemeinden entschlossen sind, abschiebebedrohten Flüchtlingen aus dem Libanon in ihren Räumen Schutz zu gewähren. „Wir werden die Flüchtlinge nicht verstecken“, erläutert Jürgen Quandt diesen Schritt, „wir werden den Behörden offen mitteilen, daß die Leute bei uns sind. Aber wird werden ihnen Schutz geben und das ist nichts Illegales.“
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