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Proteste gegen Frankreichs Atomkolonialismus

■ Mehrere Tausend Polynesier protestierten auf Tahiti gegen die Fortsetzung der französischen Atomwaffenversuche / Auch konservative Parteien kritisieren Frankreich / Peinliche Enthüllungen über den korrupten Führungsstil des Pazifikstaatssekretärs Flosse

Von Ulrich Delius

Tausende von Polynesiern demonstrierten am Montag zum Auftakt der 36. Südpazifikkonferenz auf Tahiti gegen die Fortsetzung der französischen Atomversuche in dieser Region. Drei lokale Oppositionsparteien hatten zu der Kundgebung aufgerufen, bei der auf Spruchbändern die Einstellung der Atomversuche und eine Volksabstimmung über die Auflösung der Testanlagen gefordert wurden. In der Präfektur gaben die Demonstranten Briefe für Staatspräsident Mitterand und Premierminister Chirac ab. Zur Teilnahme hatten sich unter Hinweis auf die vorherrschende Meinung der Bevölkerung auch zwei Mitglieder der Territorialversammlung von Französisch–Polynesien entschlossen, die der Pariser Regierungsmehrheit nahestehen. Zum ersten Mal protestierten in der tahitianischen Hauptstadt Papeete damit alle sechs Oppositionsparteien ungeachtet sonstiger politischer Differenzen über den Weg zur Unabhängigkeit gegen den Pariser Atomkolonialismus. Sie forderten neben einer Volksabstimmung über die Fortsetzung der Tests auch die Ablösung von Gaston Flosse, dem französischen Staatssekretär für pazifische Angelegenheiten. Flosse dominiert kraft seiner Ämterhäufung als Präsident der Territorialregierung von französisch–Polynesien, Abgeordneter des Europaparlaments und Chef der gaullistisch orientierten Tahoeraa–Partei das politische und wirtschaftliche Leben der Kolonie. Er besitzt Versicherungen, Immobilien und Reiseagenturen, ist im Ölgeschäft engagiert und sein Vermögen wird auf mehrere Millionen DM geschätzt. Sein Regierungsstil gleicht zuweilen dem eines absolutistischen Herrschers. Bei den Beratungen der Territorialversammlung ist er nur selten anwesend, aber als die französische Tageszeitung Liberation ihn verdächtigte, zehn Prozent der Gewinne aller von ihm neu zugelassenen Unternehmen zu kassieren, ließ seine Partei alle Exemplare der entsprechenden Ausgabe aufkaufen, derer sie habhaft werden konnte. Dank einer geschickten Neubewertung der Wahlkreise und der für einen Sitz in der Territorialversammlung notwendigen Stimmenzahl entsendet die Partei von Flosse heute mehr Abgeordnete in das Territorialparlament, als ihr eigentlich zustünden. Tahoeraa bekam zwar nur gut 30.000 Stimmen (gegenüber 40.000 der Opposition) stellt jedoch beide Abgeordneten. Die Beschwerde eines Oppositionspolitikers beim Verfassungsrat wurde abschlägig beschieden, weil nicht er persönlich, sondern sein Rechtsanwalt das Schreiben abgegeben hatte. Polynesische Oppositionspolitiker, die sich Ende Oktober in Paris aufhielten, warfen dem umstrittenen Staatssekretär „Geschäftemacherei, Korruption, Einmischung und Machtmißbrauch“ vor. Flosse führe sich als „Gauner von Polynesien“ auf, der sich um die Ansichten anderer nicht schere. Daher bliebe der Opposition nur der Protest auf der Straße, um sich bemerkbar zu machen. Eine Anklage, die vom Oppositionsabgeordneten Braun–Ortega vor kurzem eingereicht wurde, umfaßt die folgenden Punkte: Flosse habe von einer neugegründeten Transportgesellschaft Wahlkampfhilfe kassiert, eigenen Firmen oder Unternehmen seiner Frau Gelder aus der Staatskasse ohne Gegenleistung überwiesen und über eine Werbeagentur Druck auf Kunden ausgeübt, seinen Wahlkampf zu finanzieren. Die Reaktion aus Paris: Premier Jaques Chirac sprach Flosse Ende Oktober in einem Brief erneut sein Vertrauen aus.

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