Kritische Ärzte gründen Verein

■ 180 Mediziner bei Gründungsversammlung von „Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte“ / Gegen Behandlungsmonopol niedergelassener Ärzte

Aus Frankfurt Oliver Tolmein

Seit gestern haben die konservativen Ärztevereine Hartmannbund und Marburger Bund eine Konkurrenz bekommen: In Frankfurt wurde am Sonntag der „Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte“ gegründet, der sich nicht für ständische Interessen, sondern für eine Demokratisierung des Gesundheitswesens einsetzen will. Grundlage soll dabei das WHO–Konzept „Gesundheit 2000“ sein, das vom Organ der Bundesärztekammer, des Hartmannbundes, als „Irrweg“ kritisiert wird, weil es auch die soziale und politische Dimension von Krankheit thematisiert. Der „Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte“ soll bundesweit die Arbeit der oppositionellen Listen in den Ärztekammern, in denen alle Mediziner ähnlich wie Handwerker in den Handwerkskammern Pflichtmitglieder sind, ergänzen. Vor allem, so Winfried Beck, niedergelassener Orthopäde in Frankfurt und einer der Initiatoren des neuen Vereins, komme es darauf an, in der öffentlichen gesundheitspolitischen Diskussion andere Akzente zu setzen: „Die traditionellen Verbände äußern sich ja nur zu Bereichen, die über Krankenschein abrechenbar sind.“ Dazu gehören allerdings auch so brisante Themen wie Gentechnik, Katastrophenmedizin oder Psychiatriebereiche, in denen die Demokratischen Ärz tinnen und Ärzte dezidiert andere Positionen als ihre Kolleginnen und Kollegen vertreten. Die zunehmende „Militarisierung der Medizin“ lehnen sie ebenso ab wie den Versuch, Gesundheit auf genetischem Wege herzustellen und im Psychiatriebereich fordern sie beispielsweise eine Änderung der Krankenhausbedarfspläne mit dem Ziel, alle psychiatrischen Großanstalten aufzulösen. Innerhalb der Ärzteschaft wird aber eine andere Forderung die meiste Aufmerksamkeit erregen: Der Verein spricht sich in seinem Programm gegen das Behandlungsmonopol der niedergelassenen Ärzte aus: Ambulante Versorgung soll auch in Polikliniken, Ambulatorien oder noch zu entwickelnden anderen ärztlichen Einrichtungen möglich sein. „Solange es die Ideologie gibt, daß ein frei wirtschaftender Arzt in freier Verantwortung als Unternehmer Kranke behandelt, können wir über Demokratisierung reden so viel wir wollen - es wird sich nichts ändern“, so ein Arzt aus München. Bei der Gründungsversammlung spielte das Verhältnis des Vereins zu den Gewerkschaften, speziell der ÖTV, in der viele Krankenhausärzte organisiert sind, eine wichtige Rolle. Auf gar keinen Fall, so betonten mehrere Redner übereinstimmend, verstehe man sich als Konkurrenz zu dieser. Diese gewerkschaftliche Orientierung mag ein Grund dafür gewesen sein, daß sich die bei Ärztekammerwahlen erfolg– reichste oppositionelle Ärzteliste, die Fraktion Gesundheit aus West– Berlin, nicht an der Gründung des Vereins betei– ligt hat.