: Entschädigung bleibt eine Farce
■ Richter nennt Regierungsbericht zur Entschädigung von NS–Opfern „schönfärberisch und verschleiernd“
Aus Bonn Ursel Sieber
Heinz Düx, Vorsitzender Richter am Frankfurter Landesgericht für Entschädigungsfragen, und der grüne Abgeordnete Ströbele haben gestern schwere Vorwürfe gegen den „Bericht der Bundesregierung über Wiedergutmachung und Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht“ erhoben. Das Ganze sei „ein in glatter Beamtensprache produziertes Elaborat“, sagte Düx - „schönfärberisch, lobhudelnd, problemumgehend und verschleiernd“. Der Bericht nehme überhaupt nicht zur Kenntnis, daß ganze Gruppen vom NS–Staat Verfolgter völlig leer ausgegangen seien. In „anmaßendem Selbstlob“ werde nur behauptet, die Wiedergutmachung sei eine historisch einzigartige Leistung gewesen, die die „Anerkennung der Verfolgtenverbände“ gefunden habe. Erstattet wurde der Bericht von Familienministerin Süssmuth. Pressesprecher Möbes wies dennoch jegliche politische Verantwortung von sich: Der Bericht sei im Finanzministerium erstellt worden, im Hause Süssmuth gebe es keinen Referenten, der damit befaßt sei. Der Finanzminister habe immer betont, er sei in dieser Frage zuständig und wolle den Bericht nach außen hin vertreten. Fortsetzung auf Seite 2 Hintergrund Seite 9 Düx belegte seine Kritik an zahlreichen Beispielen: So werde das Problem der Zwangsarbeit umgangen, indem es mit der Haftentschädigung (150 DM pro Monat) vermischt werde. Die Absicht sei, die von vielen Häftlingen geleistete zusätzliche Zwangsarbeit damit als abgegolten anzusehen. Es gehe aber um zwei Dinge, um den Freiheitsentzug und um die ohne Lohn geleistete Zwangsarbeit für deutsche Firmen, kritisierten Ströbele und Düx. Auch Ströbele bezeichnete den von Frau Süssmuth gezeichneten Bericht als „Zumutung gegenüber den Verfolgten“. Die Ministerin versuche, die Verfolgten „als Querulanten“ abzutun, was u.a. an der „bürokratischen Kälte“, mit der die Homosexuellen und Zwangssterilisierten behandelt würden, deutlich werde. Die Grünen fordern einen Sonderfonds mit 500 Mio. DM, um die noch lebenden Opfer möglichst schnell und unbürokratisch zu entschädigen. „Die Bundesregierung spielt auf Zeit, weil sie weiß, es werden sehr viel weniger“, sagte Ströbele. Die Vergangenheit werde in einem Museum „weggesperrt“, ergänzte er bezogen auf das in Berlin geplante „Museum für Deutsche Geschichte“, für das die Regierung 500 Millionen DM bereitstellen will.
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