: Unbehagen über Kronzeugenregelung
■ Nach Anhörung im Rechtsausschuß will die FDP konkretere Formulierungen im Gesetz / FDP–Vorsitzender Bangemann will über Kompromißregelung verhandeln / FDP Schleswig–Holstein lehnt Gesetz ganz ab
Berlin/Bonn (taz/dpa) - Das Unbehagen über die Kronzeugenregelung in der vorliegenden Fassung wächst. Nach der Expertenanhörung im Rechtsausschuß am Freitag, bei der der weitaus größte Teil der Sachverständigen gegen diese Regelung gesprochen hatte, kündigte der FDP–Generalsekretär Haussmann in einem Brief an die Mandats– und Funktionsträger seiner Partei an, daß auf dem Bundesparteitag am nächsten Wochenende gründlich darüber diskutiert werde. Der in Husum tagende Landesparteitag der schleswig–holsteinischen FDP lehnte am Samstag das komplette „Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus“ ab. Der nur gegen wenige Stimmen gefaßte Beschluß der Delegierten fordert statt neuer Gesetze eine Verstärkung der Fahndungsmöglichkeiten. Moderater äußerte sich der Vorsitzende der Jungen Liberalen Guido Westerwelle. Er forderte die Koalition nur auf, die sogenannte Kronzeugenregelung fallen zu lassen. Westerwelle deutete aber eine Kompromißlinie an, die auch in dem Brief von Haussmann enthalten sei. Demnach müßte die Kronzeugenregelung dahingehend modifiziert werden, daß „Straffreiheit für Mörder“ (Westerwelle) nicht gewährt werden könne beziehungsweise „in einem angemessenen Verhältnis zu den offenbarten Taten“ (Haussmann) stehen müssen. Haussmann schrieb weiter, daß niemand in der FDP wolle, daß Mörder bei geringer Aufklärungshilfe Straffreiheit erhielten. Eine derartige Konkretion innerhalb des Gesetzentwurfes könnte möglicherweise auch von der CDU/CSU akzeptiert werden. Die ist allerdings auf gar keinen Fall bereit, auf die Anwendung der Kronzeugenregelung auf Angehörige aus dem inneren Kreis der RAF ganz zu verzichten. Nach Informationen des „Spiegel“ will der FDP–Vorsitzende Bangemann Anfang dieser Woche mit Kanzleramtsminister Schäuble über eine Kompromißregelung verhandeln. Die Bedenken der meisten Sachverständigen hatten sich allerdings gegen die Kronzeugenregelung insgesamt gerichtet, die beispielsweise vom Präsidenten des Bundesgerichtshofes Pfeiffer als ein „Tor für die Verletzung elementarer rechtsstaatlicher Grundsätze“ bezeichnet wurde, weil sie vorsehe, daß die belastenden Aussagen der sogenannten Kronzeugen gar nicht direkt vor Gericht, sondern nur im Ermitllungsverfahren gegenüber dem Generalbundesanwalt geäußert würden. Damit, so Pfeiffer, entzögen sie sich in der Verhandlung jeder Nachprüfbarkeit. Die Opposition wertete das Ergebnis der Anhörung als Bestätigung ihrer ablehnenden Position. Der nordrheinwestfälische Innenminister Schnoor (SPD) forderte die Regierung auf, ihren Gesetzentwurf zur Einführung des Kronzeugen zurückzuziehen. Bundeskanzler Helmut Kohl sah sich nach der harschen Kritik der Sachverständigen an der Kronzeugenregelung genötigt, diese noch einmal zu verteidigen. Er sprach sich dafür aus, sie als „Experiment“ einzuführen.
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