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Kultur und Schießbefehl

Zum Vortrag Hans Mayers in Ostberlin Hans Mayers Vortrag über Karl Kraus an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften ist mehr als ein Signal für ein verändertes kulturpolitisches Klima zwischen Deutschland Ost und West. Die Einladung an den Literaturwissenschaftler und Kritiker, der bis Anfang der 60er Jahre die ersten Generationen kritischer Intelligenz in der DDR ausbildete, ist der Anfang einer Aufarbeitung von annähernd 20 Jahren DDR–Kulturpolitik, die im Wesentlichen geprägt war durch Ausgrenzung von parteikritischen Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen. Daß Mayer in Ostberlin mit stürmischem Beifall bedacht wurde, Hermlin ihm in einer Ansprache bescheinigen durfte, in seiner Leipziger Zeit „Sozialisten mit undogmatischem Weitblick“ herangebildet und sich damit um die DDR verdient gemacht zu haben, kommt einer offiziellen Rehabilitierung des lange Jahre in der DDR Verleumdeten gleich. Diese Rehabilitation, die einen fast euphorisch werden lassen könnte und die leicht zum Träumen von einem kulturellen Frühling zwischen Deutschland Ost und West verführt, wird jedoch jäh zum Alptraum, wenn einem der Tod des jungen DDR–Flüchtlings durch gezielte Schüsse von Grenzsoldaten der NVA an der Berliner Mauer nur wenige Stunden vor diesem Kulturereignis bewußt wird. Im Schatten dieser Schüsse kann kein deutsch–deutscher Kultur–Frühling beginnen. Die DDR muß sich die Frage beantworten, ob sie solche gezielten Todesschüsse auf Flüchtlinge noch nötig hat, wenn sie sich andererseits auch kulturell gegenüber ihren Kritikern öffnet. Max Thomas Mehr

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