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Aus der Traum für Rückkehrer?

■ Der Bundesrat verabschiedete vorgestern ein Gesetz, das vorzeitige Rentenauszahlungen an türkische Arbeitnehmer drastisch einschränkt / Existenzgründung in der Türkei wird damit unmöglich

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Der Bundesrat hat gestern ein Gesetz verabschiedet, dessen Name allein schon so kompliziert ist, daß ihn die Betroffenen selbst in ihrer Landessprache kaum verstehen dürften: „Gesetz zu dem Zusatzabkommen von 2. November 1984 zum Abkommen vom 30. April 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über die soziale Sicherheit und zu der Vereinbarung vom 2. November 1984 zur Durchführung des Abkommens“, heißt dieses Paragraphen–Monstrum. Da hinter verbergen sich Maßnahmen, die die Zukunftsplanung vieler türkischer Arbeitsemigranten in der Bundesrepublik über den Haufen werfen dürften. Nach diesem Gesetz wird es nämlich Rückkehrern in die Türkei ab nächsten Frühjahr so gut wie unmöglich sein, sich den in der Bundesrepublik erarbeiteten Rentenanspruch vorzeitig auszahlen zu lassen, um sich damit in der Türkei eine eigene Existenz aufzubauen. Nach der bisherigen Regelung konnten türkische Arbeitsemigranten bei der Rückkehr in ihre Heimat zwischen der Möglichkeit wählen, sich bei Erreichen der Altersgrenze die deutsche Rente in die Türkei schicken zu lassen oder sich nach einer zweijährigen Wartezeit den Arbeitnehmeranteil der Rente auf einen Schlag frühzeitig auszahlen zu lassen. Von dieser zweiten Möglichkeit machten allein im letzten Jahr mehr als doppelt soviele Rückkehrer Gebrauch als von der ersten. Nach einer zweijährigen Wartezeit in der Türkei, in der sie dort weiterarbeiten konnten, bekamen sie von der deutschen Rentenversicherung meist eine Summe zwischen 10.000 und 20.000 Mark in deutscher Währung ausbezahlt. Geld genug, um sich den lang erarbeiteten Traum vom eigenen Ge müseladen, Taxi oder Mietshaus zu erfüllen. Um türkische „Gastarbeiter“ zur Rückkehr zu motivieren, gestattete die Bundesregierung 1984 ein Jahr lang sogar, daß die Rückkehrer ihren Rentenanspruch ohne die zweijährige Wartezeit sofort mitnehmen konnten. Ab Frühjahr soll jetzt diese Möglichkeit fast gänzlich entfallen: Ab dann können sich nur noch diejenigen ihren Rentenanteil sofort auszahlen lassen, die zwei Jahre lang in der Türkei nicht versicherungspflichtig arbeiten. Und da in der Türkei auch Selbständige und Bauern versicherungspflichtig sind, bedeutet das für die meisten in der Praxis eine Verpflichtung zum zweijährigen Nichtstun. Das jedoch können sich die wenigsten leisten. Das Gros der türkischen Rückkehrer wird deshalb nach der gestern verabschiedeten Regelung nur noch die Möglichkeit haben, bis zum Alter von 65 Jahren auf die monatliche Rente aus Deutschland zu warten. Aber in der Türkei beginnt das Rentenalter schon viel früher. Während ihre daheimgebliebenen Landsleute z.T. schon mit 45 oder 50 Jahren auf Rente gehen können, müssen die Rückkehrer aus Deutschland weiterarbeiten bis sie 65 sind. Um das zu vermeiden, blieb den Rückkehrern nur eine Möglichkeit: sich nämlich mit der einmaligen Beitragsrückerstattung aus der deutschen Rentenversicherung in die türkische einzukaufen. Dieses Verfahren war bisher zwar bei der türkischen Regierung sehr beliebt, nicht so sehr jedoch bei den Betroffenen. Denn bei diesem Geschäft berechnete die türkische Regierung einen dermaßen schlechten Wechselkurs für die DM, daß am Ende auf dem türkischen Rentenkonto erheblich weniger Geld eintraf. Doch auch diese Möglichkeit wird jetzt erschwert, denn dazu benötigen die Rückkehrer wiederum die Beitragsrückerstattung aus Deutschland, und die bekommen sie in Zukunft nur, wenn sie die zweijährige Wartezeit ohne Arbeit finanziell überbrücken können. Den Betroffenen selbst wäre dieses Gesetz beinahe völlig verborgen geblieben: Erst die Berliner Ausländerbeauftragte drängte darauf, daß die Regelung den türkischen Arbeitsemigranten bekannt gemacht wurde und daß eine Übergangsregelung eingeführt wird. Danach sollen all diejenigen noch unter die alte Rentenregelung fallen, die bis zum 17. März 1987 in die Türkei zurückgekehrt sind. (siehe Kommentar S.4)

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