: Die Sahauris fürchten Gefahr aus Israel
■ Ein Gespräch mit Jean Ziegler zur israelischen Militärhilfe an Marokko
Jean Ziegler, Professor für Soziologie aus Genf und Nationalrat für die Schweizer Sozialdemokratie, hielt sich Anfang November auf Einladung der „Polisario“ mehrere Tage in den sahrauischen Flüchtlingslagern bei Tindouf (Algerien) auf. Hier leben rund 160.000 Sahrauis - wie die Bewohner der Westsahara heißen - im Exil entlang der Grenze zum umkämpften Gebiet. Zur gleichen Zeit drehte Robert Krieg dort einen Fernseh– Film über poliogeschädigte Kinder (Sendung am 17.12. in der Reihe „Links und Rechts vom Äquator“ im 1. Programm um 16.00 Uhr). Für die taz ließ er sich in einem Interview mit Jean Ziegler von dessen Unterredung mit sahrauischen Regierungsvertretern berichten, die den West–sahara–Konflikt in ein vollständig neues Licht taucht. Der Peres–Besuch im August dieses Jahres in Marokko hat demnach unmittelbaren Einfluß auf den Sahara–Krieg und wird möglicherweise zu schweren Erschütterungen im gesamten Mahgreb führen. Jean Ziegler: 14 Tage nach dem Besuch von Peres sind 11 israelische Offiziere und Abwehrspezialisten in die Sahara gekommen. Der Nachrichtendienst der Sahrauis hat deren Bewegungen genau verfolgt. Die haben alle Mauerstücke1 fotografiert und inspiziert. Nach Meinung von Mohammed Abdelaziz, des Präsidenten der Sahrauis, bereitet diese Militärmission mit ganz großer Sicherheit eine Militärhilfe Israels in dieser Region für Marokko vor. Diese Militärmission scheint immer noch da zu sein und wird vermutlich ausgeweitet. taz: Gibt das dem Westsahara– Konflikt nicht eine ganz neue Dimension? Es sind sechs Punkte, die die politische und militärische Führung der Sahrauis sehr beunruhigen und sehr beschäftigen: 1. Die Israelis sind Spezialisten des Anti–Guerilla–Kampfes, was die Marokkaner nicht sind. Sie werden neue Techniken und neues Material einführen. 2. haben die Sahrauis die Pläne der zwei Grenzzäune erhalten, die im Jordanteil und im Südlibanon eine Sicherheitszone bilden und nach Aussage der Sahrauis sehr viel effektiver sind, sehr viel mehr elektronisches Material haben, als diese Mauern hier, die tatsächlich überwindbar sind. (Dies berichtete mir auch ein französischer Journalist, der sich gemeinsam mit einer sahrauischen Einheit mehrere Stunden lang hinter der „Mauer“ auf besetztem Gebiet aufhielt, Robert Krieg.) Das wird mit den neuen Grenzzäunen sehr viel schwieriger werden. 3. Der Mossad. Die Sahrauis vermuten, daß der Mossad jetzt organisch mit dem marokkanischen Geheimdienst zusammenarbeitet, was für die diplomatische Arbeit der Sahrauis, die sehr wichtig ist, enorm gefährlich werden kann. Bisher ist es den Marokkanern nicht gelungen, die sahrauischen Auslandsaktivitäten zu beschatten, die Solidaritätsarbeit usw., das können die Marokkaner nicht auf der ganzen Welt. Die Israelis können das. Das wird außerordentlich gefährlich für die Sahrauis, die für ihr Land im Ausland arbeiten, physisch gefährlich. Geheime Kontakte, Kontakte mit Journalisten werden gefährdet, und diese Aktivitäten sind lebenswichtig für die Sahrauis. 4. Die Israelis sind Spezialisten der Kolonisation. Die wissen, wie man Teile der Bevölkerung deportiert und andere wieder ansiedelt. Die Kolonisierung der Westsahara ist Hassans größtes Problem. Die Sahrauis haben Angst, daß die Kolonisierungsprojekte der Israelis, das, was sie schon jetzt in Cis– Jordanien unternehmen, übernommen werden, mit Rat und Tat der Israelis. 5. Die Israelis haben eine Militärstrategie, die auf Offensive gegründet ist. Mit der Mauer, so, wie sie seit drei Jahren besteht, haben die Marokkaner sich selbst eingeschlossen, um die sogenannte „nützliche Sahara“ zu verteidigen - den Teil zu halten und auszubeuten, der sie ökonomisch interessiert. Wenn die israelische Strategie angewendet wird, dann wird es offensiv, dann kommen die über die Mauer. Vielleicht bis hierher. Die befreiten Gebiete sind in acht Zonen aufgeteilt, in denen ja auch Leute leben. Die werden dann angegriffen und hingemacht von Helikopter–Kommandos, die über die Mauer kommen. Das Verfolgungsrecht, daß die Israelis ja immer in Anspruch nehmen, daß man einen Guerilla–Angriff bis ins Hinterland verfolgen kann - wenn sie das hier anwenden, dann heißt das Krieg mit Algerien. 6. Der letzte Punkt: Die zionistische Lobby ist für die marokkanische Propagandaarbeit außerordentlich wichtig, in Europa, in Amerika. Kann denn so das durch den Vertrag mit Libyen angeschlagene Image Marokkos wieder aufpoliert werden? Ja natürlich. Gerade in den USA und Europa, wo die zionistische Lobby einen großen Einfluß auf die Presse hat, - bei Ihnen nicht so, aber in Frankreich, in der Schweiz usw. Welche Interessen verfolgen die Israelis mit ihrer Einflußnahme auf den Westsahara–Konflikt? Abdelaziz sagt, die Israelis brauchen unbedingt eine neue Frist der Spiegelfechterei. Der Peres hat zweieinhalb Jahre lang gesagt, ich will Frieden machen, und nichts ist dabei herausgekommen. Die Likud will nach Meinung der Sahrauis keinen Frieden, denn das würde bedeuten, die besetzten Gebiete abzuztreten. Was die jetzt brauchen, ist zur Absicherung des Status quo eine neue Al lianz mit den traditionalistischen, reaktionären arabischen Mächten wie Saudi–Arabien und Marokko, die dann zu einer Quasi–Anerkennung des Status quo führt. Dann haben es die Israelis nicht mehr nötig, der Forderung nach einer internationalen Konferenz nachzugeben. Das ist die Meinung von Abdelaziz. Was ist Ihre persönliche Meinung? Ich zweifle nicht an diesen sechs Punkten. Ich verstehe, warum Abdelaziz und die anderen Regierungsmitglieder, mit denen ich über vier Stunden lang diskutiert habe, so beunruhigt sind. Warum sie vor einer Schwelle stehen. Nicht, weil sie dem Tod näher sind - das sicher auch - sondern weil ihr ganzes Werk dort in den Lagern in Frage gestellt wird. Wenn die bombardiert werden, dann ist es aus. Was ich nicht verstehe ist, ob dieses Mal der König nicht zu weit gegangen ist. Er ist ein richtiger Abenteurer, er setzt den Einsatz immer höher. Aber: 1967 hat eine marokkanische Elite–Brigade den Golan verteidigt und wurde zu drei Fünfteln aufgerieben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Offiziere aus dieser Zeit, die jetzt ja Oberst sein müssen, es akzeptieren, daß da an die Westsahara–Front plötzlich arrogante zionistische Offiziere kommen und sagen, seit zehn Jahren macht ihr jetzt Krieg, ihr versteht nichts davon, jetzt sagen wir euch einmal, was ihr tun müßt. Daß es zu einer reibungslosen Kooperation kommt, das kann ich mir nicht vorstellen. Vergessen Sie nicht die starke jüdische Minderheit in Marokko. Nein, ich meine das rein technisch, auf dem Niveau der Front hier. Die Israelis sind Meister der Provokation. Ich kann mir vorstellen, daß dem König der Krieg aus der Hand gleitet und daß es dann zu einem Bombardement der Lager kommt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß bei dieser Operation, die sich da jetzt entwickelt, nicht Gegenstöße aus der arabischen Welt kommen, - das wird ja auch publik. Tunesien ist der einzige Mahgreb–Staat, der die Sahrauis nicht anerkennt. Daß die stillschweigend akzeptieren, daß die Leute, die ihre Hauptstadt bombardiert haben, sich in der Westsahara festsetzen, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube, es wird aus der arabischen Welt Reaktionen geben, die für den marokkanischen König kontraproduktiv werden können. Was bedeutet das alles für Algerien? Die sind sehr, sehr beunruhigt. Ich habe mit mehreren algerischen Ministern gesprochen. Die haben alle gesagt, es ist gut, wenn Sie jetzt in die Sahara gehen. Ich habe gespürt, daß sie alle sehr viel besorgter als sonst sind, wenn es um diese Region geht. Es sind ja Brudervölker, das sagen die Algerier immer wieder. Wenn die Israelis kommen, dann ändert sich auch die ganze, sagen wir, psychologische Struktur. Die Israelis können unumstößliche Fakten schaffen, die die Marokkaner nicht wollen, sie aber zwingen, die MIGs in Tindouf zu bombardieren. Was Abdelaziz zum Abschluß gesagt hat, finde ich sehr richtig: Wenn eine neue Macht in einen regional begrenzten Konflikt eintritt, dann wird die Lösung um so viel schwerer. Israelische Interessen im Mahgreb hat es vorher nicht gegeben, die Einkreisung Algeriens, das ja sehr auf Seiten der PLO steht. Es gibt dann keine Patt–Situation mehr. Bisher waren die Sahrauis auf ein Drittel ihres Gebietes zurückgedrängt, konnten zwar die Mauer überwinden, aber nicht mehr das Dispositiv zerschlagen, keiner konnte siegen. Auch auf diplomatischer Ebene gibt es eine Patt–Situation, keiner kann mehr die Sahrauis ignorieren, aber keiner kann auch die Marokkaner zwingen, das Referendum2 durchzuführen. Wie wollen die Sahrauis reagieren? Erst einmal alles publik machen. Den Peres–Besuch hat man immer nur rezipiert als einen verzweifelten Versuch, im Nahen Osten Frieden zu schaffen. Dabei ging es darum, wie sich die Israelis hier festsetzen können. Die Sahrauis gehen noch weiter. Sie sagen, es geht um die amerikanischen Basen in Marokko. 1973, im Jom–Kippur–Krieg hat es ja diese berühmten 48 Stunden gegeben, wo die deutschen Basen dicht waren und der Kissinger nicht die Munition hat herbringen können mit der Luftbrücke. Dann haben sie es über die Azoren gemacht. Die Israelis sind funktionell daran interessiert, daß die Basen in Marokko absolut sicher sind. Der Preis dafür ist die enge Militärallianz im Westsahara–Konflikt. Im Zentrum des Peres–Besuchs stand die Sicherung der amerikanischen Basen für den Nahen und Mittleren Osten. 1. Die sogenannte „Mauer“ ist ein ca. drei Meter hoher Sandwall, mit Radar ausgestattet, der die Sahrauis am Eindringen in die besetzten Gebiete hindern soll. 2. Das erst kürzlich wieder auf der UNO–Vollversammlung beschlossene Votum, die Sahrauis mittels einer Volksabstimmung ihren zukünftigen Staat wählen zu lassen.
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