I N T E R V I E W „Die linken Kräfte dürfen sich nicht spalten lassen“

■ Horst Isola, Bundesvorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen“ (ASJ) und Senatsdirektor beim Senator für Recht und Strafvollzug in Bremen, über die neuen „Anti–Terror“–Gesetze und über Planungen der ASJ, ein neues Rechtsbewußtsein zu schaffen

taz: Letzten Freitag, als im Bundestag die sogenannten „Anti–Terror–Gesetze“ beschlossen wurden, war das oppositionelle Engagement der SPD äußerst gering... Horst Isola: Ich selbst halte es für unbefriedigend, daß die SPD–Fraktion mit höchstens zehn, 15 Abgeordneten vertreten war. Wenn man schon der Meinung ist, daß dies Gesetzpaket die Freiheits– und Bürgerrechte abbaut und am Ende eine andere Staatsqualität herauskommt, muß man entsprechend der Bedeutung der Sache auch voll präsent sein. Woran liegt das? Gibt es in der SPD unterschiedliche Positionen zum Thema? Das war nur am Anfang, als das mit der Kronzeugenregelung losging. Nun, bei den Paragraphen 129a und 130a und der Erweiterung der Kompetenzen des Generalbundesanwalts, ist es uns nicht mehr gelungen, darum eine öffentliche Diskussion zu entfachen. Davor haben CDU, CSU und FDP Angst. Deshalb haben sie das Gesetzgebungsverfahren ähnlich gestaltet wie bei der Schleppnetzfahndung. Das war antidemokratisch, das war ein Durchpeitschen, das kennt man sonst nur in autoritären Staaten. Aber es wird weitergehen. Zimmermann hat ja schon Vorbeugehaft für Demonstranten angekündigt, die mit Steinen werfen. Es wird wahrscheinlich eine Strafandrohung für diejenigen kommen, die aufrufen, Gesetze zu boykottieren, und auch der Katalog des §129a wird, wenn die die Wahl gewinnen, erweitert. Da könnte ich mir vorstellen, daß der Landfriedensbruch, §125 StGB, da rein kommt, der Hausfriedensbruch im Falle von Hausbesetzungen. Und wenn die Sitzblockaden da rein kommen sollen, würde mich das auch nicht wundern. Spranger, Lummer und andere Rechtsradikale in der CDU haben diese Szene ja schon immer als terroristisch bezeichnet. Früher sprach man von der Kriminalisierung der Friedens–, der Anti–AKW– und der Ökologiebewegung, heute stellt man sie schon unter den Terrorismusverdacht... Man geht schon in Gefahr, zum Terrorist gestempelt zu werden, wenn man versucht, diese jungen Menschen, die da Masten umsägen und keinesfalls terroristischen Gruppen zugehören, zu bewegen, das nicht mehr zu tun. Dieser Dialog soll kaputt gemacht werden, da soll gespalten werden. Zum zweiten erleben wir hier einen Rückgriff auf die Sondergerichtsbarkeit im Dritten Reich. Die Oberlandesgerichte werden hier zu Sondergerichten für Volksschädlinge. Die sehen diesen ökonomischen und sozialen Protest, der sich zur Zeit auch niederlegt in Straftaten wie Mastumlegen, als schädlich an. Man will diese „unbestimmten Straftatbestände“ den normalen Gerichten entziehen. Das ist übrigens eine Beugung der Verfassung, denn der gesetzliche Richter ist der Amtsrichter oder der Richter bei einem erweiterten Schöffengericht. Ich denke, das wird zu einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht kommen. Die alte Protestbewegung wird sich nicht motiviert fühlen, diese Zunahme der staatlichen Repressionen durch parlamentarische Mittel zu bekämpfen. Was will die SPD und die ASJ weiter dagegen tun? Wir sprechen hier immer so viel über die Bewegung. Durch die Einführung des neuen § 305a, Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel, werden auch die Gewerkschaften elementar berührt. Man muß sich mal vorstellen, die ÖTV bestreikt da einen Betrieb und setzt, um gegen Streikbrecher vorzugehen, solche Maschinen außer Betrieb. Das wird sowieso, wenn das Zerstörungen sind, adäquat bestraft. Nach den neuen Gesetzen werden die Gewerkschaf ter dann als terroristische Straftäter verfolgt. Die Linke ist viel zu defensiv. Wir müßten den Spieß umdrehen und für ein neues Rechtsbewußtsein mobilisieren. Was da in der Chemie– und Atomindustrie passiert, was im staatlichen Bereich wie in Hamburg oder Göttingen geschieht, das Celler Loch, der Waffenexport, das sind Verbrechen. Diese Delikte gefährden unseren Rechtsstaat. Der Staat schleust Gewalttäter in die Bewegung ein, schickt Polizeibeamte und Verfassungsschützer in die Reihen, läßt sie Verbrechen begehen, um sie dann den anderen anzulasten. Denn er weiß genau, das ist seine Stärke, um selbst erst mal Gewalt anwenden zu können und die Protestbewegung zu diskreditieren, denn argumentativ läuft da ja nichts mehr, dieser Staat kann nicht mehr argumentieren. Da nähern wir uns dem Ausnahmezustand, in vier Jahren werden wir kaum noch Zonen haben, wo man frei demonstrieren kann. Was hat die ASJ konkret vor? Was ist verwirklichbar? In der Frage der Rechtspolitik herrscht eine große Übereinstimmung zwischen Grünen und SPD. Hier dürfen sich die linken Kräfte nicht spalten lassen, dann kann man ja wirklich mit uns machen, was man will. In diesem Zusammenhang werden wir von der ASJ die Frage des Volksentscheids aufgreifen. Die Fehlentscheidungen in der Politik haben dermaßen zugenommen, vor allem bei Themen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können - Atomkraft und die Endlagerung, die Schäden durch die chemische Industrie, bei der Gentechnologie tauchen ähnliche Sachen auf -, da muß die Bevölkerung mehr an den Entscheidungen ihrer Lebensgrundlagen beteiligt werden. Selbst Hans– Jochen Vogel hat gesagt, daß wir darüber nachdenken müssen. Du hast auch von einer Umorientierung im Umweltrecht gesprochen... Ich werde dem Bundesvorstand der ASJ bei der nächsten Sitzung am 4.Januar den Vorschlag machen, eine Arbeitskommission aus SPD–Juristen und Experten aus anderen Bereichen zu bilden, um ein neues Umweltrechtsbewußtsein zu entwickeln. Bisher sind die Umweltgesetze nur ein stumpfes Schwert. Beispiel Störfallverordnung, §13. Da wird eine Geldbuße angedroht, wenn ein Störfall nicht unverzüglich mitgeteilt wird. Das müßte zu einem Straftatbestand werden wie z.B. eine Unfallflucht im Straßenverkehr. Das ist dort Voraussetzung für eine Schadensregulierung zum Beispiel, und im Straßenverkehr sind ja nur Bagatellschäden zu behandeln. Ein weiteres Beispiel: Wir fordern eine Abkehr von der Ideologie der Gefahrenabwehr, von der Reparaturmentalität. Wir müssen sie zu einem Vorsorgeprinzip abwandeln. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit muß wieder vorrangig behandelt werden vor dem Grundrecht auf Eigentum und dem sozialen Recht auf Arbeit. Großtechnologien müßten auf diese Grundrechtsverträglichkeit geprüft werden. Daraus würden in der Praxis solche Sachen wie Produktionsverbote und auch Transportverbote resultieren. Dieses Vorsorgeprinzip wird, geht es um Polizeirecht, auch von euch heftig bekämpft. Das ist doch das Perverse. Das Vorsorgeprinzip ist ja im Grunde nichts Schlechtes und dort, wo es um gesundheitliche Vorsorge zum Erhalt des Lebens geht, angebracht. Doch die Bürger, die sich vom Atom und der Chemie zu Recht bedroht fühlen und die in diesem Bereich für Vorsorge eintreten, werden durch polizeiliche „Vorsorge“ daran gehindert und kriminalisiert. Das Gespräch führte Oliver Wegener