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Volksfürsorge: Zwang der roten Zahlen

■ Verkauf der DGB–Versicherung liegt im Konzentrationstrend

Von Martin Kempe

Berlin (taz) - Zwar wiegelt man bei der Gewerkschaftsholding BGAG noch ein bißchen ab, und beim Deutschen Sparkassen– und Giroverband sprach man von lediglich „lockeren Gesprächen“. Aber das am Mittwoch bekannt gewordene gegenseitige Interesse der BGAG und Volksfürsorge auf der einen, der Sparkassen auf der anderen Seite ist zu eindeutig, um im Unverbindlichen zu verbleiben: Mit dem Verkauf der gewerkschaftseigenen Volksfürsorge an die Sparkassen, die von ihrer Kundenstruktur her ideal zueinander passen würden, bahnt sich eine zweite Großfusion zwischen Bank– und Versicherungskapital an. Eröffnet worden war dieser Trend vor wenigen Wochen durch den Verkauf von 50 Prozent und einer Aktie der gewerkschaftseigenen Bank für Gemeinwirtschaft an die Aachen–Münchner Versicherung. So ist das erste Ergebnis des Zusammenbruchs der Neuen Heimat nicht, wie verschiedentlich vorausgesagt, das Chaos auf dem Immobilienmarkt, sondern ein Konzentrationsprozeß des Finanzkapitals von bisher noch kaum absehbaren Dimensionen. Wenn es zum Kauf der Volksfürsorge durch die Sparkassen kommen sollte, so der Präsident des Rheinischen Sparkassen– und Giroverbandes, Johannes Fröhlings, dann könne es nur „um die Mehrheit oder die ganze Volksfürsorge gehen“. Eine Minderheitsbeteiligung, wie sie bisher von den Gewerkschaften immer ins Auge gefaßt worden war, kommt also nicht in Frage. An dieser Äußerung ist erkennbar, daß die einst so stolze und verhandlungsstarke BGAG durch die Neue–Heimat–Katastrophe soweit geschwächt worden ist, daß nicht sie eventuellen Käufern ihre Bedingungen diktieren kann, sondern sich dem Diktat der Kaufwilligen wohl oder übel wird beugen müssen. Zwischen sechs und acht Milliarden Mark soll das Volksfürsorgepaket wert sein - ein Brocken, der selbst für die Sparkassen schwer zu schlucken sein dürfte. Entsprechend dürfte auch eine Mehrheitsbeteiligung nicht unter drei Milliarden Mark zu haben sein - Beträge, die dem beitragszahlenden Durchschnittsmitglied der Gewerkschaften so entfernt sind wie die Manager der BGAG der gewerkschaftlichen Basis. Aber auch dringend benötigte Finanzmassen, wenn der Zusammenbruch der Neuen Heimat nicht letztlich doch noch auf die Finanzrücklagen der Gewerkschaften durchschlagen soll. Nach den derzeit bekannten Vereinbarungen zwischen den Banken und der BGAG wird die Gewerkschaftsholding nämlich, nach dem mißglückten Verkaufsabenteuer an den Berliner Brotfabrikanten Horst Schiesser, für die Verluste der Neuen Heimat bis einschließlich 1988 aufkommen müssen. Wie hoch die sein werden, ist noch gar nicht genau absehbar. Aber sicher handelt es sich hier ebenfalls um zusätzlich aufzuwendende Milliardenbeträge. Vom einst so stolzen Wirtschaftsimperium des DGB wird nach dem Verkauf der Volksfürsorge nicht mehr viel übrig bleiben. Schon vor Jahren wurde die aus den Konsumgenossenschaften hervorgegangene Coop privatisiert, nun die BfG und die Volksfürsorge. Die Neue Heimat soll mittelfristig liquidiert werden. Was bleibt, ist eine fünfzigprozentige Beteiligung an der BHW– Bausparkasse, die Union–Druckerei und einige kleinere Unternehmen wie die renommierte Büchergilde Gutenberg und der Bund–Verlag. Der Ausstieg aus der Gemeinwirtschaft folgt nicht einer bewußten politischen Steuerung durch die Gewerkschaften, sondern dem unerbittlichen Zwang der roten Zahlen.

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