: Strukturelle Nichtangriffsfähigkeit
■ Die NATO will über konventionelle Abrüstung verhandeln
Mehr als ein halbes Jahr haben sie benötigt, bis die Außenminister der NATO die laut Genscher „wichtigste Erklärung der Allianz seit langem“ der Öffentlichkeit präsentierten - die Antwort auf das Angebot des Sowjetchefs Gorbatschow, Europa auch konventionell abzurüsten. Glaubt man den hehren Kommuniques, soll nun bald vom „Ural bis zum Atlantik“ jede Kanone zur Disposition stehen, um ein Gleichgewicht auf niedrigerem Niveau zu erreichen. Besonders stolz aber ist Genscher auf eine Passage der Brüsseler Erklärung, die als Ziel der Verhandlungen die „Beseitigung der Fähigkeiten zu Überraschungsangriffen oder zur Einleitung von großangelegten raumgreifenden Offensiven“ vorsieht. Bemerkenswert an dieser Formulierung ist zuerst einmal das implizite Eingeständnis, daß bislang entgegen den offiziellen Behauptungen auch die NATO–Friedenskämpfer zu Überraschungsangriffen und raumgreifenden Offensiven in der Lage sind. „Vorwärtsverteidigung“ nennt man dies in der sprachlichen Verballhornung der Militärs. Nun wäre es zweifellos wünschenswert, würde diese Möglichkeit durch eine entsprechende Entwaffnung zukünftig ausgeschlossen. Doch entweder wissen diese Außenminister nicht, was ihre Militärs eigentlich treiben, oder sie nehmen sich selbst nicht ernst. Im Gerangel um eine Verringerung der atomaren Mittelstreckenraketen geht es den Militärs seit längerem um eine Konventionalisierung eines zukünftigen Krieges. Auch die Bundeswehrplanung für die nächsten zehn Jahre unterstreicht diese Tendenz. Falls also die politische Ebene der NATO tatsächlich mehr als Sprechblasen produzieren will, muß sie vorher nachweisen, daß sie, analog zu Gorbatschow im Warschauer Pakt, in der Lage ist, gegenüber den Militärs das Primat der Politik durchzusetzen. Jürgen Gottschlich
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