Die Ungarn entdecken den Müsli–Markt

■ Erster Öko–Laden des Ostblocks in Budapest eröffnet / Landwirtschaftliche Genossenschaften sollen bald eine Kette von „Natura“–Läden beliefern / Landwirtschaftsministerium will Öko–Produkte auf den westlichen Markt exportieren

Aus Budapest Hubertus Knabe

In der ungarischen Hauptstadt Budapest ist seit kurzem etwas ganz Erstaunliches nicht nur in Augenschein zu nehmen. Das erste sozialistische Müsli, konkurrenzlos auf dem osteuropäischen Markt zwischen Bratislava und Wladiwostok, wartet in einem „Natura“– Laden auf alternative Genießer. Eine erste Probe des Ost–Müslis durch den taz–Reporter verlief zufriedenstellend und endete mit einer Nachbestellung und der Verleihung eines Prädikats. Dieses Müsli mit dem Gütesiegel „taz–geprüft“ gibt es seit Ende vergangener Woche im ersten Bio–Laden Ungarns, vielleicht sogar des ganzen Warschauer Paktes. In dem kleinen Budapester Verkaufsraum in der Krisztina Koerut 77 drängen sich die Kunden, um Getreide, Brot oder Keim–Schalen zu erstehen. „Natura“ prangt in großen Buchstaben über dem Schaufenster - Name eines neugegründeten Staatsunternehmens in Ungarn, das sich vorgenommen hat, im alternativen Sektor groß einzusteigen. „Das Geschäft“, sagt Natura– Direktor Lajos Antal (53), „ist nur der erste Baustein eines langfristigen Plans. Wir wollen ein ganzes Netz solcher Läden aufbauen, insgesamt vielleicht 15 bis 18“. Unter Anleitung eines holländischen Experten will das Unternehmen biologischen Anbau treiben, die Produkte weiterverarbeiten und anschließend im In– und Ausland verkaufen. „Seit drei Jahren machen wir Marktforschung, und wir wissen, daß wir auf dem Weltmarkt gute Chancen haben.“ Der Natura–Plan ist vor Jahren im Landwirtschaftsministerium entstanden. Ziel war die Einführung und Popularisierung gesunder Ernährung in Ungarn, bald kam man jedoch zu der Überzeugung, daß die biologischen Produkte auch im Westen guten Absatz finden würden. Am ersten Februar wurde Natura gegründet, und an die Spitze des Unternehmens trat kein ungarischer Grüner, sondern ein ehemaliger LPG– Vorsitzender mit langjährigen Erfahrungen im Außenhandel. „Wir stehen“, erklärte Antal dem Korrespondenten, „in Verbindung mit 1.200 Genossenschaften auf dem Lande. Die Produktionsbasis ist gegeben, jetzt geht es nur noch um die Einführung und Kontrolle des ökologischen Anbaus. Nächstes Jahr fangen wir an mit 500 Hektar, und wir werden von Naturreis über Sojabutter bis zu kaltgepreßten Ölen beinahe alles produzieren.“ Probleme bereiteten dem Unternehmen nur noch Verpackung, Maschinen und Verwertungsmöglichkeiten, so daß man am liebsten gemischte Gesellschaften mit westlichen Firmen gründen möchte. Mit einer Schweizer Firma hat man bereits über die gemeinsame Müsli–Produktion verhandelt, die zu drei Vierteln für den ausländischen Markt bestimmt sein soll. Natura, soviel ist deutlich, ist nicht wie der deutsche Öko–Laden an der Ecke, der sich mit alternativer Arbeitsmoral und einem volltönenden Namen aus dem Gemüsegarten die Kunden sichert. Obwohl man gleich als erstes der „Internationale der Ökoproduzenten“ beigetreten ist, hält man sich fern von den ökologischen Überzeugungen der westlichen Konkurrenten. „Wir verstehen die Anschauungen unserer Partner, aber in Ungarn würde das nicht gehen. Wir haben hier ein Einparteiensystem, und da entscheidet die Zentrale über Umweltschutz und ähnliche Fragen. Wir sind für gesunde Ernährung und eine andere Lebensweise, aber ein grünes Programm ist bei uns nicht drin.“ Der erste ungarische Bio–Laden wird in Budapester Öko–Kreisen gleichwohl als Ausdruck eines allmählichen Bewußtseinswandels gewertet, der in Punkto Umweltschutz in der Volksrepublik zu beobachten ist. Die Proteste gegen das gigantische Staustufensystem an der Donau sind längst nicht mehr der einzige Ausdruck erhöhter Umweltsensibilität. Seit Juni dieses Jahres erscheint sogar eine eigene Umweltschutzzeitung, die von unabhängigen Ökologen unter dem Namen Vizjel (Wasserzeichen) auf eigene Faust herausgegeben wird. Dieses Blatt wird man allerdings in dem Budapester Natura–Laden bis auf weiteres vergeblich suchen. „Wenn wir das dort verkaufen würden“, sagt einer der Mitarbeiter von Vizjel, „dann wäre der Laden schon morgen geschlossen.“