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Demonstrationen im Sinne Deng Xiaopings?

■ Der konservative Flügel der chinesischen KP verliert die Geduld / Von Jürgen Kremb

Starke Polizeikräfte hatten das Universitätsgelände in Peking umstellt, um das seit einer Woche verhängte Demonstrationsverbot in fast allen chinesischen Städten durchsetzen. Dennoch am Nachmittag des letzten Mittwochs versammelten sich wieder 3.000 Studenten im Zentrum der Landeshauptstadt Peking, um für Demokratie im sozialistischen Reich der Mitte auf die Straße zu gehen. „Wir wollen Pressefreiheit!“ forderte ein Spruchband ultimativ. „Guten Tag Deng Xiaoping,“ grüßte ein anderes unverfänglicher den neuen chinesischen Steuermann und Architekt der Wirtschaftsreform. Am Donnerstag dann ein sehnliches Bild. Trotz schärferem Verbot, waren mehrere hundert Hochschüler zum Tian Anmen, dem Platz des himmlichen Friedens im Zentrum der acht Millionen Stadt gekommen. Diesmal skandierten sie: „Weg mit den Reaktionären!“ Je länger die Demonstrationen der jungen Intellektuellen in Chinas Großstädten andauern, desto unklarer wird, was sie wirklich wollen, wo sie stehen und wer dahinter steckte. Größte Proteste seit 1976 Seit April hatte das Land keine Protestaktionen in solchem Ausmaße mehr gesehen. Damals hatten sich auch mehrere Zehntausende Chinesen auf Pekings Tian Anmen versammelt. Was als Trauerfeier für den verstorbenen Ministerpräsidenten Zhou Enlai geplant war, wuchs damals schnell zum Protest gegen die Kulturrevolution Mao Zedongs und der Vierer–Bande aus. Vergleichsbares brachte auch der Dezember 1986. Nachdem sich in einigen Provinz–Haupt städten mehrere Tausend junge Leute für „Demokratie in China“ auf die Straße trauten, waren es dann in Shanghai 30 bis 40.000. Doch während sich Proteste im sozialistischen China in der Vergangenheit meist als parteiverordnetes Massenspektakel offenbarten, zitierten die Agenturen, diesmal Studenten, die durchweg behaupten: „Unsere Proteste wurden nicht wie früher von oben verordnet, die Initiative kommt von unten.“ Zumindest zu Beginn der Demonstrationen schien Zweifel daran angebracht. Denn es waren Teile der chinesischen KP selbst, die im Reich der Mitte seit dem Frühjahr zur Diskussion über die „Reform der politischen Struktur“ aufriefen. Nachdem Westöffnung und Wirtschaftsreform Chinas Aussehen seit 1978 in weiten Teilen veränderte, wollten nach den Wünschen der Reformkader um Deng Xiaoping nun auch ideologische Aufschwünge folgen. Ausländische Besucher und chinesische Studenten, die im Herbst von ihrem Heimaturlaub zurückkamen, berichteten, über bis dahin nie Dagewesenes. Geradezu Lehrsendungen über Demokratie hatte das staatliche Fernsehen im Sommer über den Äther in alle Landesteile geschickt. Bei Diskussionen zu politischen Fragen debattierten Parteimitglieder kontrovers in der Öffentlichkeit. Aber um das Ungewöhnliche noch zu steigern, stimmten sie über die Debatte auch noch ab. Und nicht mehr einheitlich, wie es bisher die KPCh stets nach außen gezeigt hatte wurde votiert, sondern mit wechselnden Mehrheiten. Im Parteiorgan Volkszeitung (Renmin Ribao), das fest in der Hand der Reformer ist, ließ Deng verbreiten, dabei ginge es nur um die Vervollkommenung des sozialistischen Systems, nicht aber um eine „Reform des politischen Systems“. Das aber ging den konservativen KP–Veteranen um Chen Yun, Li Xiannian und Peng Zhen entschieden zu weit. Immer wieder hatten sie die „Vier Modernisierungen“ (in Landwirtschaft, Industrie, Militär, sowie Wissenschaft und Technik) und eine zu weit gehende Wirtschaftsreform wegen ihrer negativen Auswirkungen auf die „sozialistische Moral“ kritisierte. Eine demokratische Refrom als „fünfte Modernisierung“ wollten sie nicht hinnehmen. Denn die Strukturänderungen der KPCh, wie sie Deng anstrebt, zielt gegen Ämtermißbrauch, übermächtige Parteikader und Vetternwirtschaft innerhalb der größten KP auf Erden. Demos für Deng Xiaoping? Als die führenden KP–Kader sich im August im Seebad Baidahe und dann im September zur Plenartagung des Zentralkomitees in Peking trafen, mußten die Reformer gleich zweimal eine schwere Schlappe einstecken. Gegen ein Papier zur politischen Kultur, das auf Deng–Kreise zurückgeht, fanden die Konservativen eine Mehrheit - zum ersten Mal seit Beginn der Westöffnung. Der Schluß, daß der Reformflügel in der KPCh als Urheber der Proteste für „Demokratie in China“ anzusehen ist, lag nur zu nahe. Die chinesischen Hochschulen sind von einem dichten Netz der Überwachung aus Vertrauenslehrern, KP–Studentenverband und Jugendliga überzogen. Sie befinden über Wohl und Wehe der ohnehin schon durch ihre rare Bildungschance privilegierten Hochschüler. Ob ein Uni– Absolvent später im öden Tibet oder in den gut versorgten Großstädten einen Arbeitsplatz erhält, darüber entscheidet dieses chinesische Trio–Infernal aus KP–Kadern. Sie müssen zumindest tolerierend zugesehen haben, als junge Leute für die Reform Deng Xiaopings und eine „Fünfte Modernisierung“ auf die Straße gingen. Auch der Bürgermeister von Shanghai Jiang, der als fortschrittlich gilt, billigte den Studierenden anfangs das „legitime Recht“ zu demonstrieren zu. Die staatliche Nachrichten– Agentur Xinhua und später auch die Volkszeitung durchbrachen ihr bei derartigen Ereignissen übliches Schweigen und berichteten über die studentischen Aktionen. Frust unterschätzt Doch bald zeigte sich, daß die KP–Führung die intellektuellen Geister, die sie gerufen hatte, nicht mehr los wurde. Zu sehr hat sie den Frust unterschätzt, der unter den jungen Intellektuellen umgeht. Denn obwohl von der Partei in der Nach–Mao–Ära hofiert und nicht mehr als „stinkende Nummer Neun“ verfolgt, haben die Studenten bisher von den Segnungen des Dengschen Wirtschaftsbooms am wenigsten profitiert. Chinas „Neue Reiche“ sind nur unter den Bauern und Händlern zu finden. Die Studenten leben noch immer jämmerlich. Sie sind nach wie vor zu viert oder sechst in einer Bude von wenigen Quadratmetern zusammengepfercht, werden zu Prüfungen wie Computer vollgestopft und erhalten dafür ein Sti pendium, das nur das aller Nötigste deckt. Auf der anderen Seite erfahren sie wie keine Bevölkerungsgruppe sonst, vermittels ihrer Sprachkenntnisse und von ausländischen Komilitonen, vieles über die vermeintlichen Freiheiten des Westens. Die Demos, die sich in den ersten Dezembertagen an zu hohen Studiengebühren in Shenzhen, an zu schlechtem Mensaessen in der Shandong–Provinz und an einer Schlägerei in Chongqing entzündeten, überzogen Chinas Unis in den letzten Wochen wie ein Buschfeuer. Aus 80 Hochschulen in 18 Städten wurden mittlerweile Proteste gemeldet. Nicht nur Ungeduld mit der zu schleppend verlaufenden Reform Dengs wurden angemeldet. In Chinas größter Hafenstadt, Shanghai, forderten die Demonstranten Menschenrechte, Pressefreiheit und ein Mehrparteien–System. In Chongqing, der Fünf– Millionen–Metropole am Yangtze sollen die aufgebrachten Massen Agenturberichten zufolge sogar ein Parteibüro verwüstet haben. Am 22. Dezember wurden daraufhin alle „ungenehmigten Demonstrationen“ in Chinas Großstädten verboten. Die Studenten zeigten sich davon jedoch weitgehend unbeeindruckt. In Shanghai sollen Aufrufe zur Gründung einer „Partei im Dienste des Volkes“ aufgetaucht sein. Im KP– Verständnis ein klarer „konterrevolutionärer“ Angriff auf ihren Machtanspruch. Vorwurf der Konterrevolution Es ist zu befürchten, daß dem Shanghaier Herbst bald ein Pekinger Winter folgt. Seit Anfang der Woche beginnt die Führungsspitze des Landes gegen die „fehlgeleiteten Vorstellungen von westlicher Demokratie“, so die Renmin Ribao, zurückzuschießen. He Dongchang, stellvertretender Leiter der staatlichen Erziehungskommission, fand vor Journalisten, daß nur zwei Prozent der chinesischen Studenten an den Protesten teilgenommen hätten. Einen Tag später machte die staatliche Nachrichten–Agentur Xinhua Spione von Chinas Erzfeind Taiwan für die Aktionen verantwortlich. Das könnte drakonische Strafen wegen Verschwörung und konterrevolutionärer Aktionen für die Studenten bedeuten, die mit ihren Protesten fortfahren. Einige Hochschüler aus Shanghai scheinen sich dessen aber schon vor einer Woche bewußt gewesen zu sein. „Wenn ihr wissen wollt, was Demokratie ist, fragt Wei Jingsheng!“ stand auf einem ihrer Spruchbänder. Wei freilich sitzt zu 15 Jahren verurteilt in einem Arbeitslager der Qinghai– Provinz. Er war einer der Aktivisten des Pekinger Frühlings der Mauer der Demokratie vom Winter 1978/79.

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