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Campesinos zwischen Apokalypse und Sandino

■ In Nicaragua haben evangelische Sektenprediger oft mehr Erfolg als Geistliche, die die sandinistische Revolution verteidigen. Vor allem die Landbevölkerung mit ihrem Wunder– und Geisterglauben verhafteten Weltbild ist für die Beschwörung des nahen Weltuntergangs empfänglich

Aus Managua Bernhard Kuntz

„Wir danken unserem Herrn Jesus Christus, daß wir uns heute hier versammeln dürfen“, eröffnet Pastor Sergio Castillo, nachdem er vom örtlichen Versammlungsleiter gebührend vorgestellt wurde, die Veranstaltung. „Halleluja“ und „Gracias a Dios (Dank sei Gott)“, antworten ihm die 52 Pfarrer und Laienprediger unterschiedlicher, evangelischer Klein– und Kleinstkirchen in Nueva Guinea. Sie haben sich hier im Südosten Nicaraguas auf die Ankündigung hin versammelt, daß Pastor Sergio zum Thema „Christ sein und soziale Verantwortung“ sprechen und anschließend billige Kleidung verkaufen werde. Die sich äußerlich nicht von den Kleinbauern abhebenden religiösen Leiter dieses Landstrichs sind an die Anwesenheit des Stadtpfarrers gewöhnt. Alle Jahre wieder erscheint er, der in Managua für eine ökumenische Einrichtung arbeitet, für ein bis zwei Tage in dieser abgelegenen Kriegsregion im Süden Nicaraguas. „Wir wollen uns gemeinsam in das Wort Gottes vertiefen und herausarbeiten, was die Bibel zu unserem Thema sagt“, fährt der Gast aus der Stadt fort, nachdem die anfängliche Unruhe sich gelegt hat. „Wir bitten unseren Herrn Jesus Christus, daß er uns mit seinem Geist begleite.“ „Halleluja“, „Gracias a Dios“, schallt es wieder aus den verschiedenen Ecken des Raumes. Dann beginnt der Redner seine „gemeinsame Erarbeitung“ der biblischen Aussagen zum Thema. „Ein wahrer Christ arbeitet mit den Sandinisten“ Kreuz und quer jagt er die Anwesenden durch das alte und neue Testament; 532 Seiten vorwärts, 398 Seiten zurück. Alle biblischen und himmlischen Gestalten tragen etwas zur These des Verkünders bei, ein wahrer Christ sei nur, wer soziale Verantwortung über nehme und soziale Verantwortung zeige sich u.a. in der Zusammenarbeit mit den sandinistischen Behörden. Doch die auf ihren Bänken harrenden „lieben Brüder“ schweigen und nach einiger Zeit macht sich Unruhe breit. Zu deutlich widerspricht das Vorgetragene ihrem Welt– und Selbstverständnis. Eine solche Bibelauslegung teilen auch die meisten der Laienprediger und Pastoren dieses Landstriches nicht. Viele sind der Ansicht, alles Übel habe mit der Machtübernahme der Sandinisten begonnen. Unter Somoza, dem 1979 gestürzten Diktator, hat in dieser abgelegenen Gegend Ruhe geherrscht. Heute kommt es in den Bergen, die Nueva Guinea umgeben, immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Contra und sandinistischem Heer. Kleinbauern müssen ihre Gehöfte verlassen; Ernten werden nicht eingebracht, wirtschaftliche Schwierigkeiten bestimmen den Alltag. Die Botschaft kommt nicht an Die religiösen Leiter können oder wollen wie ein Großteil der in dieser Region lebenden Bauern nicht begreifen, daß nur die US– Regierung über das Ende des Krieges entscheidet. Für sie ist die Regierung in Managua, die „Sandinistische Front“ (FSLN) schuld an all den Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen haben. Pastor Sergio ist sichtlich irritiert, daß sein Monolog nicht die gewünschte Resonanz erzeugt. Ihm gelingt es ebensowenig wie den Massenmedien, den Zusammenhang zwischen US–amerikanischer Mittelamerikapolitik und aktuellen Schwierigkeiten der Zivilbevölkerung glaubhaft zu ver mitteln. Über Generationen hinweg war ihre Erfahrungswelt auf die eigene „finca“, ihren kleinen Hof und ihre unmittelbare Umgebung beschränkt. Sie sollen nun plötzlich internationale, politische Zusammenhänge begreifen. Überzeugender als die Erklärungsversuche der Massenmedien klingt für sie die Botschaft von Sekten, die die Apokalypse beschwören und wie Pilze aus dem Boden schießen. „Der Krieg und seine Folgeerscheinungen sind Zeichen der Endzeit“, lautet ihre Verkündigung. „Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus ist nah; tut Buße, entsagt der Welt, öffnet Euch Eurem Herrn im Gebet“, fordern die Sektenprediger ihre Zuhörer auf. Die Basisgemeinden und die mit den Sandinisten sympathisierenden Theologen und Pastoren haben auf diese volksnahe Theolo gie bisher keine Antwort gefunden. Routiniert und zugleich hilflos wie Pastor Sergio wiederholen sie ihr Bekenntnis zur „Revolution“, das einen großen Teil der Bevölkerung schon lange nicht mehr erreicht. Die Fähigsten unter ihnen sind vollauf damit beschäftigt, die neue Regierung gegen den Vorwurf zu verteidigen, sie sei antichristlich und antikirchlich eingestellt. Es fällt ihnen schwer, der Bevölkerung zu erklären, warum die wirtschaftliche Not vor 1979 ein Anlaß war, gegen die Herrschenden zu kämpfen, das heutige Elend aber zu ertragen und die Regierung mit ihrer Arbeit zu unterstützen sei. Von der Würde des Menschen, die die Revolution den Nicaraguanern wiedergegeben hat, wird in diesem Zusammenhang oft gesprochen. Das Gespräch mit den Betroffenen zeigt jedoch, daß für die meisten von ihnen Brechts Erkenntnis gilt: „Erst kommt das Fressen und dann die Moral“. Klingende Münze Die wenigen evangelischen Pastoren und Laienprediger auf dem Lande, die mit den Sandinisten sympathisieren, sind über viele ihrer Kollegen in der Stadt erbost. Sie werfen ihnen vor, die Nähe der prosandinistischen, ökumenischen Institutionen zu suchen, über die sich der warme Geldregen ausländischer, kirchlicher Hilfsorganisationen ergießt. Sie bezichtigen sie ihre Theologie stärker an den akademischen Ansprüchen der ausländischen Wohltäter zu orientieren, als an den Erfordernissen, die das im Wunder– und Geisterglauben verhafteten Weltbild der Landbevölkerung an sie stellt. Sie klagen an, keine Theologie für das Volk zu betreiben, sondern das Wort „Volk“ in klingende Münze zu verwandeln. Die Rivalität zwischen den Stadt– und Landpfarrern ist auch im kleinen Schulsaal in Nueva Guinea spürbar. Einer der prosandinistischen Landpfarrer meint vorwurfsvoll: „Einige (der Pastoren/Theologen aus der Hauptstadt) haben in Europa nicht nur die europäische Theologie kennengelernt. Sie haben auch erfahren, daß man mit theologischen Ideen Geld verdienen kann. Wir exportieren heute Hoffnung, bis uns keine Hoffnung mehr bleibt.“ Die Pfarrer und Laienprediger auf dem Treffen in Nueva Guinea haben die letzten Worte des Vortrages von Padre Sergio vernommen. Der Kleiderverkauf beginnt. 3.000 Cordoba (ungefähr fünf Mark) verlangt der Pastor für jedes der mitgebrachten gebrauchten Kleidungsstücke, die eine West–Berliner Kirchengemeinde für die „notleidenden“ Nicaraguaner gespendet hat. 150.000 Cordoba fließen an diesem Tag in seine Kasse. „Gracias a dios“ lädt Pastor Sergio auf der Rückfahrt nach Managua alle Mitfahrenden zum Essen ein.

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