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Schlußstrich unter den Shin–Beth–Skandal gezogen

■ In Israel wurde nach zweieinhalb Jahren die Affaire um den Mord an zwei palästinensischen Gefangenen beendet, ohne daß die Schuldigen zur Verantwortung gezogen wurden / Alle Beteiligten sind zufrieden: Nur drei Geheimdienstler, denen an Aufklärung gelegen war, wurden suspendiert

Aus Tel Aviv Amos Wollin

Die israelische Regierung hat zum Jahresende mit der Veröffentlichung eines Abschlußberichts der Staatsanwaltschaft die Akte einer Affaire geschlossen, die sich über zwei Jahre und acht Monate gezogen hatte: den Skandal um den Geheimdienst Shin Beth, dessen Ausgangspunkt im April 1984 die Ermordung von zwei palästinensischen Busentführern nach ihrer Gefangennahme war. Ministerpräsident Shamir und Außenminister Peres sehen in dem Abschlußbericht das definitive Ende einer peinlichen Geschichte, in die sie nicht nur als Regierungs–Chefs, sondern vor allem auch als einzige für Geheimdienste verantwortliche Instanz verwickelt waren. An einer Veröffentlichung der Zusammenfassung des obersten Staatsanwalts mußten beide, Peres und Shamir, interessiert sein. Denn Josef Harisch, der auch den wichtigen Posten des Rechtsberaters der Regierung bekleidet, stellt in seinem Bericht fest, daß das Untersuchungsmaterial nichts enthält, was beweisen könnte, daß die politischen Instanzen (also Shamir oder Peres) mit ihren Anweisungen oder durch Obstruktion der Untersuchung mitverantwort lich waren für den Mord an den beiden palästinensischen Gefangenen und die darauf folgende systematische Irreführung einiger Untersuchungskommissionen mit Hilfe von gefälschtem Beweismaterial des Geheimdienstes Shin Beth. Der Stein kam ins Rollen, als die Auslandspresse im April 84 berichtete, daß nach einem mißglückten Entführungsversuch eines israelischen Autobusses vier junge Palästinenser aus Flüchtlingslagern in Gaza ums Leben gekommen waren, zwei von ihnen, nachdem sie lebend von Angehörigen der israelischen Sicherheitsbehörden gefangen genommen und abgeführt worden waren. Diese Nachricht sowie Fotos der beiden Gefangenen während ihres Abtransports durften in Israel nicht veröffentlicht werden. Über Presseveröffentlichungen im Ausland erregten diese Tatsachen aber auch in Israel Aufsehen. Eine Untersuchungskommission wurde eingerichtet, die die Verantwortlichen für den Mord identifizieren sollte. Aufgrund von gefälschtem, vom Geheimdienst fabriziertem „Beweismaterial“ wurde General Jizhak Mordehai beschuldigt und ein Militärgerichtsverfahren gegen ihn gefor dert. Da jedoch nichts passierte, fing die israelische Presse an, Fragen zu stellen, und ein Jahr später empfahl eine andere amtliche Untersuchungskommission erneut ein Disziplinar–Verfahren gegen General Mordehai. Mitte August 85 sprach Richter General Nadel ihn frei. Gleichzeitig wurden drei Mitglieder des Geheimdienstes in einem Disziplinarverfahren entlastet. Präventive Amnestie Im vergangenen Herbst ging es dann richtig los, als drei weitere hohe Geheimdienstangehörige ihrerseits versuchten, Licht ins Dunkel der Affaire zu bringen. Sie forderten von Ministerpräsident Peres, (der inzwischen von Shamir abgelöst worden ist), die Wahrheit an den Tag zu bringen und die Fälschung von Zeugenaussagen durch Geheimdienstchef Abraham Shalom zu enthüllen. Peres unternahm nichts gegen Shalom, verlangte aber den Rücktritt der „intrigierenden“ Beschwerdeführer. Diese wandten sich mit ihrem Anliegen an Oberstaatsanwalt Professor Zamir. Dabei ging es letztlich um die Unantastbarkeit der Geheimdienste, die über „formalen Rechtsforderungen“ stehen. Der oberste Staatsanwalt und Rechtsberater hielt diesen Konflikt und seine Handhabung durch die Regierung für sich persönlich und seine Funktion für untragbar und trat zurück. Die Regierung ernannte daraufhin Josef Harisch zu seinem Nachfolger. Um allen weiteren Untersuchungen aus dem Weg zu gehen und in der Hoffnung, dem immer weitere Kreise berührenden Skandal ein Ende zu machen, setzte sich die Regierung ins Einvernehmen mit Staatspräsident Herzog, der den Chef des Shin Beth und drei seiner Untergebenen begnadigte, - präventiv und umfassend, ohne daß die Amnestierten je vor Gericht gestanden hätten. Gegen diesen „Trick“, der die Forderung der Opposition auf eine gerichtliche Untersuchung und Bestrafung der Verantwortlichen im Keime ersticken sollte, wurde von linken und liberalen Parteien beim Obersten Gericht Einspruch erhoben, der jedoch erfolglos blieb: Denn im Prinzip ist der Präsident ermächtigt, auch „präventiv“, das heißt: nicht verurteilte Personen, zu begnadigen. Eine bereits eingeleitete polizeiliche Untersuchung muß jedoch zu Ende geführt werden. Dieser „Kompromiß“ veranlaßte dann sieben weitere Geheimdienstler sich vorbeugend vom Staatspräsidenten amnestieren zu lassen. Bereits einen Monat später - Ende September 86 - übergab die Polizei das Untersuchungsmaterial dem Staatsanwalt. Inzwischen wurde der Leiter des Shin Beth ersetzt, und einige andere begnadigte Geheimdienstleute erhielten neue hohe Posten. Ende Dezember übergab dann der Oberste Staatsanwalt seinen Abschlußbericht Shamir, Peres, Verteidigungsminister Rabin und Justizminister Scharier. Geheimdienste stehen über dem Gesetz Fast alle an der Affaire Beteiligten (mit Ausnahme der drei „Beschwerdeführer“, die noch von ihrem Geheimdienst–Job suspendiert sind) sind mit dem Ausgang der Affaire zufrieden. Niemand wurde belangt, weil alle infrage kommenden Shin–Beth–Spitzen vorsorglich mit einer Schutz–Amnestie des Staatspräsidenten ausgestattet waren. Vielleicht haben die Sicherheitsbehörden aus dem Skandal gelernt, daß sie umsichtiger sein müssen und daß in Zukunft keine Fotografen, Journalisten oder sonstige Augenzeugen bei „Operationen“ anwesend sein dürfen. Zweifellos hat die Presse die Vertuschungsversuche der Behörden immer wieder verhindert. Beunruhigend jedoch ist, daß die Geheimdienst–Mitglieder nach ihrer Begnadigung sonst nichts aus der Affaire gelernt haben: Dem Schlußbericht zufolge halten die befragten Shin–Beth– Beamten an ihren Lügen und falschen Aussagen fest oder verweigern die Aussage zu bereits bekannten Einzelheiten des Gefangenenmordes und der gefälschten Zeugenaussagen. Das entspricht den auch weiterhin bestehenden „moralischen Normen“ in der Führung des Regierungs– und Sicherheitsapparates, wie das Wochenmagazin Koteret raschit schrieb. Besorgniserregend ist das „Nicht–gewußt–haben–wollen“ bei den beiden Premierministern Schamir und Peres, denen es immer nur darauf ankam, eine ernste Untersuchung zu verhindern und die Öffentlichkeit, vor allem die Medien, auszuschalten. So können sich die Sicherheitsdienste weiterhin als allmächtig und über dem Gesetz stehend betrachten (eine Verfassung gibt es in Israel nicht). Dazu kommt, daß es außer dem Ministerpräsidenten keinerlei Instanzen gibt, die die verschiedenen Sicherheitsdienste im Zaume halten oder kontrollieren können. Deren Macht sind kaum Grenzen gesetzt.

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