: Auch Kinder haben Anspruch auf Asyl
■ Bundesverwaltungsgericht: Auch Kinder können politisch verfolgt sein und einen eigenständigen Asylantrag stellen / Urteil des Mannheimer Verwaltungsgerichtshofes aufgehoben und zurückverwiesen
Berlin (taz) -Kinder von anerkannten Asylberechtigten haben einen Anspruch darauf, daß in einem eigenständigen Verfahren geprüft wird, ob auch sie aufgrund der Situation in ihrem Heimatland oder aufgrund der politischen Betätigung ihrer Eltern politisch verfolgt werden. Zu dieser Grundsatzentscheidung kam gestern der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin, der in vier Fällen über die Klage minderjähriger Kinder aus Afghanistan, Äthiopien und Rumänien zu urteilen hatte. Die Bundesverwaltungsrichter hoben damit ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim auf und verwiesen die Fälle zu einer erneuten Prüfung zurück. Die Mannheimer Richter hatten es abgelehnt, überhaupt eine inhaltliche Prüfung des Asylgesuchs der Kinder vorzunehmen. Familienangehörige von anerkannten Asylberechtigten seien in der Bundesrepublik ohnehin durch den im Grundgesetz verankerten „Schutz der Familie“ vor einer Abschiebung in ihr Heimatland geschützt. Ehepartner und Kinder von Asylberechtigten, so die Mannheimer Richter, bekämen in der Bundesrepublik ein Bleiberecht, so daß ein Asylverfahren überflüssig sei. Die Rechtsanwälte führten gestern in Berlin jedoch an zahlreichen Beispielen aus, daß es - auch wenn eine Abschiebung nicht unmittelbar drohe - sehr wohl von Bedeutung sei, daß Kinder einen eigenen Asylanspruch besäßen. Sobald sie nämlich volljährig seien oder die Ehe der Eltern auf gelöst werde und ein Elternteil in die Heimat zurückgehe, riskieren die Kinder den Verlust ihres Bleiberechts. Solange sich ihr Aufenthaltsstatus nur von den Eltern herleitet, würden die Kinder von ausländischen Flüchtlingen im Falle eines Todes der Eltern in der Bundesrepublik völlig schutzlos dastehen. „Kinder“, so die Anwälte, „können nicht als bloße Anhängsel ihrer Eltern behandelt werden.“ Sie hätten ein Recht auf einen gesicherten Aufenthalt und nicht nur auf ein Bleiberecht, das ihnen bei Erreichen der Volljährigkeit oder bei Veränderungen in der Familie von der Ausländerbehörde streitig gemacht werden könne. Selbst der Bundesbeauftragte für Asyl, Reichler, hatte sich der Argumentation der Kläger angeschlossen. Generell hätten Familienangehörige von Asylberechtigten ein Anrecht, daß ihr Asylantrag individuell geprüft werde, denn der Schutz durch das Asylrecht gehe weiter als der Schutz, den sie bisher durch das Bleiberecht genießen, führten die obersten Verwaltungsrichter weiter aus. Es sei darüber hinaus nicht auszuschließen, daß sich die politische Verfolgung der Eltern auch auf die Kinder erstrecke und sie als Geiseln mißbraucht oder in sogenannte Umerziehungslager gesteckt würden. Ob das bei den Kindern vorliegt, die jetzt diese Grundsatzentscheidung erstritten, muß nun der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof in einer individuellen Beweisaufnahme prüfen. (AZ B VerG 9C 53/86 u.a.) Vera Gaserow
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen