: Wenns den Vettern an den Kragen geht
■ Seit einem Jahr versucht die neue philippinische Regierung, den Reichtümern von Marcos und seinen Getreuen auf die Spur zu kommen / Über 200 Firmen und Landgüter wurden beschlagnahmt / Ausländische Regierungen zeigen sich kooperativ, doch der größte Teil ist längst auf Schweizer Bankkonten gelandet
Aus Manila Nina Boschmann
Ein ungewöhnliches Bild bietet in diesen Tagen Manilas Puff– und Vergnügungsviertel Ermita. Wo sonst verschlafene Barmädchen, Geldwechsler und Bleichgesichter zu finden sind, hat plötzlich die Politik Einzug gehalten. „Gerechtigkeit für Pistang Pilipino, Gerechtigkeit für das philippinische Volk“ steht in großen knallroten Lettern an den Außenmauerns des Touristenkomplex „Ermita“. Zwischen den kitschigen Souvenirständen, wo sonst das Abendprogramm angepriesen wird, erfährt man Näheres: „PCGG verletzt die Menschenrechte, PCGG ist gegen Cory, gegen das Volk und gegen Gott“. Der gescholtene neue Erzfeind ist die „Kommission der Präsidentin für eine neue Regierung“, kurz PCGG, deren Vertreter am 5. Januar im Morgengrauen unter Polizeischutz anrückten, um das Management der Firma Pistang zu übernehmen. Das Unternehmen, so die Erkenntnisse der Kommission, gehört eigentlich dem Staat. Es sei jedoch von Ophelia Trinidad, einer Vertrauten der ehemaligen First Lady Imelda Marcos, über die Jahre privatisiert worden. Bücher wurden über das lukrative Geschäft nie geführt, dafür werden Waffenlager auf dem 1,3 Hektar großen Gelände vermutet. Kommissionäre, die versuchten, Licht in das Dunkel zu bringen, wurden mehrfach bedroht und hinausgeworfen. Grund der Zwistigkeiten ist die Regierungsverordnung Nr. 1, die von der neuen Präsidentin im verganenen Februar, gerade drei Tage nach dem Machtwechsel, unterzeichnet wurde: „Alle Reichtümer, die von Ex–Präsident Marcos, seinen Familienangehörigen, Untergebenen und Vertrauten auf den Philippinen oder außerhalb des Landes unrechtmäßig angehäuft wurden, sollen zurückerobert werden. Unternehmen, über die die Obengenannten kraft ihres Einflusses, ihres Amtes oder ihrer Beziehungen die Kontrolle gewannen, sind zu beschlagnahmen.“ Eindrucksvolle Zahlen Das war eine zentrale Forderung sowohl der Linken als auch der einheimischen Bourgeoisie gewesen, soweit sie nicht von der Marcosschen Günstlingswirtschaft profitierte: Die Wiederbeschaffung des Hidden Wealth, der ins Ausland geschafften Gelder, soll helfen, wenigstens die Zinsen der 26 Mrd. Dollar schweren Auslandsschulden der Philippinen zu begleichen. An Aktivität hat es seither nicht gefehlt. Knapp dreihundert Firmen wurden in den vergangenen elf Monaten ganz oder teilweise beschlagnahmt, Hunderte von Landtiteln haben den Besitzer gewechselt. Flugzeuge, Luxusautos, Juwelen und Schiffe, die die neue Regierung nicht benötigt, werden öffentlich versteigert. Über 200 Verdächtige, darunter 50 führende Militärs, dürfen das Land nicht verlassen. Sogar umgerechnet 200 Mio. DM in bar konnte die neue Regierung in ihrer Kasse verbuchen. Umgerechnet rund 3 Mrd. DM, so schätzt der angesehene liberale Politiker und PCGG–Vorsitzende Jovito Salonga, dürfte die Sammlung der fünfköpfigen Kommission insgesamt wert sein, ein eindrucksvolles Imperium aus Banken, Hacienden, Hotels, Zeitungen, Versicherungen und Wirtschaftsunternehmen aller Art. Kisten voll von Dokumenten, die der flüchtende Marcos–Clan im Palast zurückließ, gaben anfänglich wertvolle Hinweise auf die verzwickten Geschäftsbeziehungen und Hintermänner der Diktatur. Ausländische Regierungen zeigen sich kooperativ. Der US–Zoll in Honolulu schickte die wichtigsten bei dem geflohenen Marcos entdeckten Papiere gleich wieder retour, und Schweizer Banken froren in einer einmaligen Aktion die Guthaben der bekanntesten Günst linge ein. Doch anders als die meisten revolutionären Regierungen legen die PCGG–Anwälte Wert darauf, daß ihre Aktivitäten mit Enteignung nichts zu tun hätten. Geerbter oder vor Marcos Amtsantritt vorhandener Besitz wird grundsätzlich nicht angetastet, so dubios er auch sein mag. Im Gegenteil, die von Marcos ausgebooteten Familien Jacinto und Lopez erhielten gar ihre alten Firmen zurück. Beschlagnahmt - auch dies nur übergangsweise - wird, was die Verdächtigen gemäß ihrer eigenen Einkommenssteuererklärung nie hätten erstehen können. Die Kommission und ihre mehreren hundert Mitarbeiter sollen lediglich dafür sorgen, daß nicht insgeheim weiteres Geld verschwindet - solange, bis ein aus der Marcos–Zeit übernommenes Sondergericht für Korruptionsfälle (“Sandiganbayan“) über die Rechtmäßigkeit der Aktion entscheidet. Erst dann gehören die Besitztümer der Regierung, die sie nach Belieben verkaufen oder verteilen kann. Ein langwieriger Prozeß, der viele Hintertüren offenläßt und der auf Proteste von verschiedenen Seiten stößt. Während die Rechte die vermeintliche Machtfülle der Kommission beklagt und sie schon als „größte Aktiengesellschaft des Landes“ tituliert, sehen andere ihre Felle davonschwimmen. Rechtsanwalt Villamor, der auf der Insel Negros die Operationen der beschlagnahmten 24 Hacienden von Zucker–Zar Roberto Benedicto überwacht, beschreibt das Dilemma: „Natürlich gibt es De kapitalisierung, bevor wir kommen. Wir finden auf den Landgütern keine Maschinen und keine Autos mehr. Nur das Land und die Häuser sind noch da. Aber anders als in Manila sind die Verwalter auf dem Land meist kooperativ und geben die Landtitel freiwillig ab. So lassen wir sie vorerst auf ihren Posten. Wie sollten wir auch die ganzen Betriebe selbst managen? Die Anbieter dachten, sie könnten gleich das Land übernehmen, aber das geht nicht. Wir haben uns darauf geeinigt, daß sie jetzt einen Teil für die unmittelbaren Bedürfnisse bebauen können.“ Auch in Industrieunternehmen, deren Aktien nur zum Teil in Händen der „Cronies“ (Günstlinge) waren, wird das Management meist nicht oder nur teilweise ausgetauscht. „Kein Problem“, sagt Villamor, „wir überwachen ja die Transaktionen, und in vielen Betrieben ist eh nichts zu holen“. Aber dem großen Minenkonzern „Benguet“ ist es - unerklärlich für die Kommission - trotzdem gelungen, einen Teil der beschlagnahmten Aktien zurückzukaufen. Die Kommission will fair sein, doch vielleicht, so sagen Kritiker, ist sie zu fair. Günstlinge, die ihren Besitz freiwillig abgeben, gehen straffrei aus. Aber bisher hat nur ein einziger bedeutender Marcos– Alliierter, Jose W. Campos, davon Gebrauch gemacht. Mit Roberto S. Benedicto, dem engsten Marcos–Vertrauten, haben vor wenigen Tagen Geheimverhandlungen in Hongkong begonnen. Andere haben zwar ihre Fühler ausgestreckt, aber lieber abgewartet, wie sich der Machtkampf zwischen Aquino und Enrile entwickelt. Am 31. Dezember letzten Jahres wurden erstmals 51 hochrangige Militärs in die PCGG–Recherchen einbezogen, doch Enriles Name fehlt auf der Liste. Der gefeuerte Verteidigungsminister ist landläufiger Meinung nach einer der reichsten Männer im Land, seine Immobilien in den USA sind nachgewiesen da, sagt Salonga, der Faire: „Wir sammeln noch Beweise, ob er seine Sachen wirklich illegal erworben hat und so reich ist er auch gar nicht. Weniger als eine Million Dollar.“ 18 Monate lang darf die PCGG gemäß der neuen Verfassung noch beschlagnahmen, doch allmählich macht sich auch unter den bienenfleißigsten Crony–Jägern Pragmatismus breit. Die Kommission will sich in Zukunft auf die „big fishes“, die 25 größten Magnaten konzentrieren und diese dann wirklich vor Gericht brin gen. „Für 50.000 Dollar lohnt der Zeitaufwand nicht“, heißt die Devise, die Salonga ausgegeben hat. Die 25 größten: Das sind im wesentlichen Marcos Verwandtschaft, Ex–Kokosnuß–Fürst Cojuangco und Zuckerzar Benedicto. Sie alle sind längst außer Landes. „Die Geschichte wiederholt sich“, meint dazu lakonisch Mon Isberto, der sich für das Wirtschaftsblatt „Business Day“ auf das Labyrinth des „hidden wealth“ spezialisiert hat. „Es ist das gleiche wie nach dem zweiten Weltkrieg. Damals wurde der Besitz derer konfisziert, die mit den Japanern kollaboriert hatten. Alle waren sehr engagiert, der große Nationalist Taynada leitete die Verfahren ein, aber Ende der 40er Jahre hat Präsident Rojas dann eine Amnestie erklärt. Es steckten einfach zu viele drin. Leute mit Geld.“ Internationales Labyrinth Auch andere bezweifeln inzwischen, daß es der Vetternwirtschaft wirklich an den Kragen gehen soll. So sagte jüngst der Wirtschaftsprofessor Montes in einem Interview: „Das System an sich war ja nichts Neues. Alle Präsidenten vor Marcos hatten ihre Cronies, und auch Aquino hat schon welche. Der Unterschied war nur, daß Marcos ungewöhnlich lange an der Macht war.“ In diesem Sinne ist die PCGG, die ehrlichen Absichten ihrer Mitarbeiter in Ehren, eher ein Versuch, den politischen Getreuen von Marcos ihre finanzielle Basis zu entziehen. Wie auch immer dieser Kleinkrieg auf den Philippinen ausgehen mag, den größten Teil des gestohlenen Geldes - da sind sich Analytiker jedweder Couleur einig - ist längst außer Landes: Nicht in den USA, sondern in der Schweiz, in Hongkong, Japan und in Briefkastenbanken auf irgendwelchen unbekannten Inseln. Je mehr man weiß, umso mehr weiß man, daß man nichts weiß. Dies ist die Lektion, die der Kommission bei ihren Ausflügen in internationale Finanzgefilde erteilt wird. Sporadisch tauchen neue Berichte über bisher unbekannte Geldwaschanlagen auf. So wurde vor wenigen Tagen enthüllt, daß eine 1984 ins Leben gerufene geheime Bank in Manilas Chinesenviertel über Jahre hinweg täglich 5 Mio. Dollar in bar nach Hongkong transferierte - mit Linienflügen der staatlichen Fluggesellschaft. Importeure konnten die Devisen dort teuer zurückkaufen, und Marcos kassierte bei jedem Deal ein dickes Schmiergeld. Einen Prestigesieg haben die Philippinen im Ausland allerdings errungen: Ende letzten Jahres entschied ein Gericht in New York, die PCGG habe genug Beweise erbracht, um die Beschlagnahme von vier großen Immobilienkomplexen in der Stadt zu rechtfertigen - und dies, obwohl die Gebäude formal verschiedenen Briefkastenfirmen auf den niederländischen Antillen gehörten. Das Urteil dient jetzt als Grundlage für das erste Gerichtsverfahren gegen Marcos und Familie in Manila. Doch selbst wenn die philippinische Regierung im Laufe dieses Jahres die Betonklötze verscherbeln kann, wird sie nicht reich dabei: Die Gebäude sind auf dem Papier 350 Mio. Dollar wert, aber zugleich mit zu hohen Hypotheken belastet. Insgesamt 5–10 Mrd. Dollar sollen während der letzten Dekaden aus den Philippinen abgeflossen sein. So ruhen die Hoffnungen für 1987 mehr denn je auf der Schweiz. Bis ins Jahr 1983 zurück reichen die Beweise, die im Malacanang–Palast gefunden wurden. Werden die Banken verraten, was in den letzten Jahren geschah? Werden sie die Gelder freigeben? Jovito Salonga gibt sich optimistisch, aber er sagt auch: „Die Journalisten, die hierherkommen, wollen immer nur wissen, wieviel Geld wir denn zurückbekommen haben. Wir wollen dem Volk aber auch eine moralische Lektion erteilen: daß Verbrechen sich nicht lohnen und daß man öffentlichen Insitutionen wieder trauen kann“. 1.000 Pesos (100 DM) pro Person sollen im Rahmen von Aquinos Kampagne für die neue Verfassung schon an Regierungsangestellte geflossen sein. Salongas Ohr in Aquinos Ohr.
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