Feministischer Familienstreit fand nicht statt

■ Podiumsdiskussion zum § 218 im Hamburger Curio–Haus vor 650 Besucherinnen brachte moderaten Austausch von Standpunkten zwischen Alice Schwarzer, Antje Vollmer, Lisa Degener, Verena Krieger und Renate Sadrozinski

Von Irene Stratenwerth

Hamburg (taz) -Ist jede Äußerung zum Thema „Lebensschutz“ im Zusammenhang der § 218–Debatte schon ein Ausdruck reaktionären Gedankengutes? Oder ist erst das Aufgreifen der persönlichen und moralischen Bedenken, die viele Frauen heute gegenüber Abtreibungen äußern, geradezu notwendige Voraussetzung. Um Frauen in dieser Frage überhaupt wieder mobilisieren zu können? Erst in den letzten zehn Minuten der Podiumsdiskussion im Hamburger Curio–Haus gewann eine Kontroverse zwischen Alice Schwarzer und Antje Vollmer jene Heftigkeit und Schärfe, die sich viele der ca. 650 Besucherinnen der von der Hamburger GAL initiierten Veranstaltung wohl für den ganzen Abend erwartet hatten. Wer sich auf die öffentliche Aufführung eines feministischen Familienstreits gefreut hatte, mußte enttäuscht bleiben. Zuvor waren mit Verena Krieger (Die Grünen), Lisa Degener (Bundeskoordination der 218–Gruppen), Renate Sadrozinski (Hamburger Familienplanungszentrum) und den oben Genannten all jene Frauen vertreten, die sich in den vergangenen Monaten heftig und nicht immer unter Wahrung der persönlichen Integrität um das von Alice Schwarzer lancierte „Manifest“ für eine Verfassungsklage gegen den § 218 gestritten hatten. Der daran entbrannte „unsinnige Kampf, wer die radikalste im ganzen Land ist“ (Antje Vollmer), aber beschränkte sich an diesem Abend auf den moderaten Austausch von Standpunkten. Eine viel grundsätzlichere Kontroverse zeichnete sich einmal mehr zwischen der „traditionell feministischen“ und „traditionell grün–ökologischen“ Herangehensweise an die § 218–Debatte ab. Während Lisa Degener und Verena Krieger den Konflikt zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Frau und dem Schutz von werdendem Leben als völlig konstruiert und als Erfindung konservativer Kräfte bezeichneten, stellte Antje Vollmer die Frage, ob das „Recht auf Abtreibung“ noch die Achse sei, nach der sich die Forderung nach dem „Selbstbestimmungsrecht“ primär formulieren ließe. Die Bewußtseinsveränderung der letzten zehn Jahre, die sich auch in der Empfängnisverhütung und Geburtstechnologie ausdrücke, dürfe aus der Abtreibungsdebatte nicht ausgeb Hand nehmen lassen,“ forderte sie, „nur wenn wir Frauen zeigen, wie gut wir auch mit all diesen Fragen umgehen können, werden wir in der 218–Frage wieder in die Offensive gehen können.“ Damit aber hatte sie weniger ihre eigenen „Bauchschmerzen“ zum Thema Abtreibung formuliert als sich vielmehr zur Fürsprecherin „vieler Frauen“ gemacht, von denen sie wisse, daß sie mit dem Thema heute „Schwierigkeiten“ hätten. „Die Ethikdiskussion ist reiner Luxus, solange die Strafandrohung des § 218 besteht“, hielt Alice Schwarzer entgegen, es handle sich dabei um nichts anderes als „Katzbuckeln vor dem Gegner“. Genau diesen Vorwurf aber hatte sie sich selbst mit einigen Formulierungen aus dem „Manifest“ eingehandelt, insbesondere mit der Feststellung: „Wir sind Abtreibungsgegnerinnen.“ „Ich halte es allerdings für wünschenswert, daß Frauen nicht ungewollt schwanger werden“, erklärte sie hierzu. Daß eine sensible Wahrnehmung der Konflikte, in die eine ungewollte schwangere Frau gerät, nicht im Gegensatz zu einer radikalen Position zum Abtreibungsparagraphen stehen muß, machte an diesem Abend vor allem Renate Sadrozinski vom Hamburger Familienplanungszentrum klar. „Das Gefühlschaos, in das eine Frau gerät, die ungewollt schwanger ist, läßt sich durch Gesetzesänderungen nicht abschaffen“, meinte sie, und: „Ich weiß nicht, wann Leben beginnt und denke auch, daß Frauen in unterschiedlichen Lebensphasen auch geneigt sind, das für sich unterschiedlich zu definieren und zwar je nach dem, ob sie dieses Kind dringend erwartet, mit ihm in einen Dialog treten will oder nicht.“ Diese Frage dürfe nicht zur Voraussetzung einer Debatte über den § 218 gemacht werden. Ohne je ein Recht auf Abtreibung gehabt zu haben, scheinen Frauen nach zwölf Jahren einer zumindest liberalisierten Praxis im Umgang mit den eigenen Schwangerschaftskonflikten eher verletzbarer geworden zu sein. Eine fatale Situation angesichts eines „Traumparagraphen“ für die Konservativen (Schwarzer), der es der Regierung ermögliche, den Druck auf die Frauen zu verschärfen, indem sie nur das Klima, nicht aber das Gesetz ändere. „Noch nie waren so viele gesellschaftliche Kräfte - wie z.B. fünf Einzelgewerkschaften - auf unserer Seite. Und wir sind trotzdem total in der Defensive“, stellte Lisa Degener fest.