: Asyl: Notfalls auch Gesetzesbruch
■ Bei einer Veranstaltung der evangelischen Kirche in Berlin zur Abschiebungspraxis forderte Altbischof Scharf aktives Engagement / Christen dürfen auch die „Verletzung der staatlichen Ordnung nicht scheuen“
Aus Berlin Vera Gaserow
Sie sollte ein Zeichen auch des kirchlichen Protestes gegen die Abschiebungen von Flüchtlingen in den Libanon sein, die Veranstaltung, zu der die Berliner Heilig–Kreuzgemeinde am Mittwoch abend in die Kreuzberger Passions–Kirche eingeladen hatte. Drei Stunden lang saßen dann die 500 Zuhörer/innen teils gebannt zuhörend, teils begeisternd klatschend auf den harten Kirchenbänken, und nicht wenige hatten am Schluß das Gefühl, gerade einem wichtigen politischen Ereignis beigewohnt zu haben. Dazu wurde diese Veranstaltung nicht durch neue Informationen über den Libanon oder durch kluge Diskussionsbeiträge, sondern durch die klare Aussage von seiten kirch licher Kreise, daß bei der Frage der Abschiebungen in den Libanon für viele Kirchengemeinden, Gruppen und Einzelpersonen auch einen offenen Konflikt mit dem Berliner Senat nicht scheuen. „Wir haben“, so der Berliner Altbischof Kurt Scharf in einer unmißverständlich deutlichen Rede am Mittwoch abend, „den Regierenden in den Arm zu fallen. Es ist christlich geboten, von der Abschiebung Bedrohte notfalls in unseren Gemeinden aufzunehmen, auch zu verstecken. Wer dafür bestraft werden sollte, leidet um einer höheren Gerechtigkeit willen. Geraten wir durch diese Hilfe an den geflüchteten Fremdlingen in Widerspruch zum vom Staat erlassenen Gesetzen, dürfen wir die Verletzung staatlicher Ordnung nicht scheuen.“ Wo Appelle an Gerichte und Politiker keinen Erfolg hätten, dürfe die Pflicht zur Hilfe nicht enden, appellierte Scharf. „Die Denkschrift unserer Kirche rechnet damit, daß der Christ aus Gründen des Gewissens auch gegen gesetzliche Regelungen handeln muß.“ Daß rund 20 Berliner Kirchengemeinden sich inzwischen aktiv für Asylbewerber einsetzen und jetzt zu Patenschaften für abschiebungsbedrohte Flüchtlinge aus dem Libanon aufrufen, mag dem Berliner Innensenat Probleme bereiten und auch in der Kirchenleitung nicht unumstritten sein. Die Klarheit, mit der am Mittwoch abend renommierte Kirchenvertreter wie der Altbischof zu Zivilcourage und Mut auch zum ungesetzlichen Widerstand aufgerufen haben, sollte dem Berliner Senat und den Parteien jedoch endgültig klargemacht haben, daß Teile der Kirche es in dieser Frage, so Scharf, „bei Protesten nicht mehr bewenden lassen“. Um Mut nicht nur zum Protest, sondern auch zum Handeln zu machen, hatten die Veranstalter nicht nur Libanon–Experten eingeladen, die deutlich machten, daß Abschiebungen in den Libanon, wie Hans Branscheidt von medico international es bezeichnete,“kosmetisch kaschierte Beihilfe zum Mord“ sind. Um den Zuhörer/innen ganz praktische Anregungen zu geben, hatte man auch einen eindringlichen Fürsprecher für kirchliches Flüchtlingsengagement aus der Schweiz um einen Beitrag gebeten. Im Kanton des PfarrersSchaedelin halten sich seit Wochen 30 tamilische Flüchtlinge versteckt, die von den Schweizer Behörden nach Sri Lanka abgeschoben werden sollen. Sie sind bei verschiedenen Gemeindemitgliedern untergebracht, die sich mit allen Mitteln einem Rücktransport der Tamilen widersetzen wollen. Eine Schweizer Familie habe sogar immer ein Paar Handschellen in der Tasche parat, um sich notfalls gemeinsam mit dem in der Familie lebenden Flüchtling anzuketten. Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt habe deshalb schon vorgeschlagen, statt Tells Armbrust die Handschellen zum Schweizer Freiheitssymbol zu machen, berichtete Pfarrer Schaedelin unter dem lachenden Beifall der Zuhörer. „Wenn das Land nicht mehr bereit ist, Asylland zu sein, dann müssen eben die Kirchen, Gemeinden und Privatleute Asyl gewähren“, meinte der streitbare Pfarrer, und wenn man dabei dann staatliche Gesetze verletze, „ja nun, dann ists halt so“.
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