piwik no script img

Das Opfer als Objekt der Kameraaugen

■ Italienische Pressefotographen belagern Zeugin im Monzaner Vergewaltigungsprozeß und machen sie erneut zum Opfer Angeklagte Polizisten durch Persönlichkeitsschutz gedeckt / Scheinheilige Argumentation mit Pressefreiheit

Aus Monza Werner Raith

„Komm, da hintenrum, da schaffen wirs“, der Lichtbild–Kollege kann es gar nicht erwarten, mir zu zeigen, wie fit er ist. Seit er weiß, daß von mir keine Konkurrenz ausgeht - ich hab ja keinen Fotoapparat - und ich noch dazu Ausländer bin, ist sein Ehrgeiz überhaupt nicht mehr zu zügeln. „Da hintenrum“ heißt, sich durch die rückwärtige Tür des „Tribunale di Monza“ einschmuggeln, dann den langen Korridor entlang, um drei Ecken, noch einen Korridor - und dann, Enttäuschung, sind da auch schon fünf andere Kollegen, die das „hintenrum“ offenbar ebenfalls kannten. „Immerhin“, raunt mein Kollege, „wir sind ganz vorne“. Ein Politiker vor Gericht? Ein Massenmörder? Das „Monster“? Ein „Superboss“, den es abzulichten gilt? Nein: eine Frau. Eine Engländerin - nicht angeklagt, sondern Zeugin. Sie soll in einem Prozeß gegen drei junge Carabinieri aussagen. Laut Anklage haben die drei die Studentin am 16. Januar in einer Carabinieri–Kaserne von Seveso bei Mailand mehrmals vergewaltigt, nachdem sie auf der Straße angehalten und zur angeblichen Personalüberprüfung auf die Wache gebracht worden war. Es spricht sich herum, daß der Gerichtsvorsitzende vor dem Zeugenzimmer mit den Reportern Streit bekommen hat; es bleibt nichts anderes übrig, als auch dorthin zu pilgern - diesmal die offiziellen Korridore entlang. Der Fotografenhaufen ist noch größer geworden. Zu vernehmen ist da etwas von einer „Frage der Humanität“, dann wieder etwas von der „Pressefreiheit“; das „zivilisierte Verhalten“ schwirrt durch die Luft, prallt mit der „Informationsfreiheit“ zusammen, die wieder eine „Wahrung der Menschenwürde“ nachgeworfen bekommt. Menschenwürde. Wohl wahr, wenn man die Meute sieht. Zur Debatte steht die Menschenwürde der Angeklagten, nicht die der Zeugin. Der Gerichtsvorsitzende hatte ein strenges Fotografierverbot für den Gerichtssaal verhängt, und die „Aula“–Wachen (Polizisten–Kollegen der Angeklagten) nehmen das sehr ernst; sogar Handtaschen werden gefilzt, wenn jemand darin herumfummelt. Der Persönlichkeitsschutz von Luca De Meo, Franco Monti und Mario Grimaudo ist lückenlos gesichert. Und die Studentin? „Zu ihrem Schutz gibt es nur das Wort des Gerichtsvorsitzenden“ berichtet ein TV–Sprecher live und mit mora lisch bebender Stimme - während er mit gewohnter Hand seinen Kameramann auf eine Bewegung an der Tür zum Zeugenzimmer hinweist. „Was sollen wir denn fotografieren, wenn er uns die drei Carabinieri verbietet?“ erregt sich ein Reporter. Dem Opfer hier hilft kein noch so schlaues Manöver. Eine Freundin der Zeugin springt aus dem Zimmer, einige Fotografen fallen darauf herein und beginnen mit dem Blitzlichtgewitter; aus der Ferne sehe ich meinen Freund vom Anfang, der winkt nur müde ab - alter Trick: die „echte“ wird erst noch kommen. „Der Magen dreht sich einem um“, kommentiert neben mir, dann wieder im Gerichtssaal, bleich, Enzo Tortora, der Ex–Präsident der Radikalen Partei. Er kann „viel nachfühlen“: Beim Verfahren wegen angeblicher Camorra–Mitgliedschaft stand er selbst drei Jahre unter Anklage und Blitzlichtgewittern; er ist heute gekommen, weil er „diese Schande unserer Kultur aus der Nähe“ miterleben mußte. Die drei Carabinieri sind geständig - aber nur was das Faktum des mehrfachen Sexualverkehrs angeht. Ansonsten können sie „überhaupt nicht verstehen, was die will“, und noch weniger, „warum man uns vom Dienst suspendiert und wie Verbrecher behandelt hat“ - die Frau sei „absolut mit allem einverstanden gewesen“. Da ist der Staatsanwalt anderer Meinung. Die Aussagen der drei seien derart widersprüchlich, daß man „an den Prozeß um Susanna im Bade“ erinnert wird, jenes biblische Krimistück, wo zwei Voyeure sich bei der Frage widersprachen, unter welcher Sorte Baum die Nackte sich geaalt habe. Außerdem sei bei ihnen keinerlei Reue darüber zu erkennen gewesen, daß diese Frau danach „so völlig zerstört“ gewesen sei. Das Publikum? Schwer auszumachen, ob lediglich die Konfrontation zwischen Fotografen und Gericht die Neugierde so hochtreibt oder ob die meisten doch gekommen sind, weil bei solchen Prozessen immer etwas für Spanner abfällt. Jedenfalls recken sich die Hälse immer nur in Richtung Zeugenbank. Kaum zu zählen, wieviele Fotos in diesen Stunden umsonst gemacht werden. Sobald man hinausgeht, auch nur auf die Toilette, blitzt irgendeiner los, in der Hoffnung, durch Türspalten oder Fensterreflexe etwas zu erhaschen. Wenig fehlt, und rabiate Presseleute hätten der Engländerin die übergestülpte Jacke vom Kopf gerissen, als sie, umarmt von ihrer Freundin, zu einem wartenden Auto strebt. „Das wird Folgen haben“, knurrt ihr ein Fotograf nach und hebt dann drohend die Faust Richtung „Tribunale“. Wahrscheinlich hätte seiner Ansicht nach der Vorsitzende der Frau die Vermummung verbieten sollen. Schließlich haben wir ja Pressefreiheit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen