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„Die Grünen haben ja geglaubt, sie hätten Macht“

■ Eindrücke von einem Besuch im Fischer–Ministerium vier Wochen davor / Minister kommen und gehen, der Beamte bleibt / Einander richtig grün waren sie sich nie geworden, Mißtrauen blieb / Grenzen der „Realpolitik“ in der Beweglichkeit des Apparates / Gewachsene Struktur einer Behörde ist auf Absicherung ausgelegt

Von Klaus Wolschner

Viel wird es nicht auszumisten geben auf den Fluren der elften Etage in dem Wiesbadener Behörden– Bau in der Dostojewskistraße, wo sich die „M–Ebene“ des Hessischen Ministers für Umwelt und Energie, Joschka Fischer, eingerichtet hatte. Der Linoleum–Boden ist ordentlich gewienert, weder radikale Poster an den Wänden noch Papierberge in den Ecken deuteten auf die völlig andere Besetzung der Spitze hin. Ein Bürozimmer ist aufgeräumter als das andere. Die Strukturen der „eigenen“ Verwaltung blieben völlig erhalten: Im wesentlichen dieselben Beamten machten ihre Arbeit weiter. „Im Internen Ablauf haben wir keine neuen Strukturen eingeführt“, nennt das der Pressesprecher Georg Dick. Der alte Bekannte mit seiner falschen Vertraulichkeit: Wo ist denn hier der Georg? läuft unweigerlich auf: „Der Herr Dick ist beim Minister“. Anfang Januar 1987. Der Minister humpelt über den Flur. Ein wenig respektvoll bleiben andere stehen, die eigentlich ihres Weges eilen wollten. Wen der Minister rufen läßt, der läßt den Bleistift fallen, kommt unverzüglich. Joschka hat sich den Fuß verknackst, samstags nachmittags tritt er seit eh und je mit alten Freunden gegen den Fußball. Der Minister ist nicht zu Boden gegangen, nicht gefoult worden - er war allein auf weiter Flur. „5 Jahre älter geworden“ sei er in dem letzten Jahr, ist die Entschuldigung. Der Vierzigste steht 1987 an. Das Mißtrauen blieb Sein Bürozimmer verrät am allerwenigsten persönliche Noten. Während die anderen Mitarbeiter sich doch ein eigenes Wandplakat vor den Kaufhaus–Spanplatten– Schreibtisch hingehängt haben, fehlt selbst dies im „Ministerzimmer“. Ein rechteckiger Tisch mit acht Stühlen deutet darauf hin, daß hier Besprechungen stattfinden können. Eine Nylon–Gardine verschleiert den Blick aus dem Fenster über die Stadt Wiesbaden hin, die stickige Schlichtheit scheint dazu gemacht, daß niemand sich hier wohlfühlen soll. Die Mitarbeiter der Behörde, die weitgehend übernommen wurden aus früher bestehenden Abteilungen, würdigen solche Anpassung nicht. „Mit Mißtrauen“ sei ihnen die neue Leitung des Ministeriums begegnet, beklagt sich einer nach Rückversicherung, daß er nicht namentlich zitiert wird. (Die Beamten entschuldigen damit sicherlich auch eigenes Mißtrauen.) Eine andere Ordnung, an die er sich halten kann, wurde nicht eingeführt. So verlangt er konsequent die Einhaltung der alten. Die „neuen“ Leiter, die eigentliche die Anweisungen geben müßten, haben keine „Verwaltungserfahrung“. Das Wort meint die Spürnase dafür, was nach den Gesetzen der Bürokratie geht und was nicht geht. Den „neuen“ mußte man das lang und breit immer wieder erklären, welche Behörde zu beteiligen ist und wie Dinge „auf den Weg“ zu bringen sind, die, werden sie überstürzt betrieben, nur Widerstände provozieren könnten. „Die haben ja am Anfang geglaubt, sie hätten jetzt Macht“. Der hat noch nie etwas geleitet Ein neuer grüner Abteilungsleiter ist an der Phalanx derer vorbei eingestellt worden, die sich langjährig Ansprüche angesessen haben. „Der hat ja noch nie etwas geleitet“, meint einer seiner Mitarbeiter sarkastisch. „Durchhalten“ - dies bedrückende Wort zog sich schon vier Wochen vor der Zuspitzung des Nukem/Alkem–Konfliktes durch die Ausführungen des Pressesprechers Dick, wenn er die Seelenlage des ersten grünen Ministeriums der Welt erläutern mußte. Was hat Joschka Fischer wirklich ganz anders gemacht als es ein engagierter Sozialdemokrat hätte tun können? Große zitierfähige Entscheidungen sind nicht aufzulisten. Schon in den Wochen nach der Atom–Katastrophe in Tschernobyl beschlich die Mitarbeiter in der Dostojewskistraße die bange Frage, ob nicht die politische Existenz des Fischer–Ministerums eine „reine Augenwischerei“ sei, erzählt Georg Dick. Ohne Infor mationen, „verantwortlich“ und dennoch völlig hilflos, entschlossen sich die Grünen auf der Ministerebene damals, weiterzumachen. Denn was ist, wenn sie nicht „durchhalten“? Der Leiter des Minister–Büros, Tom Königs, ließ sich verbeamten. Der Pressesprecher wirbt um Verständnis. Nach dem Wunschbild: Sie kamen, sie räumten auf möchte er das erste grüne Ministerium nicht beurteilt wissen. Die früheren Spontis, die untereinander hier und da noch den rüden Lederjacken–Fraktions–Stil hart aber herzlich praktizieren, haben die Grenzen der Handlungsmöglichkeiten durch die Selbst–Definition als „Realpolitiker“ vorwegnehmen wollen - und sie noch deprimierender kennengelernt. Die Rücksichtnahmen auf den Koalitionspartner beengten die „Fischer–Gang“ in den 14 Monaten ihrer ministeriellen Existenz noch am wenigsten, weniger jedenfalls als vorgeschaltete Bundeskompetenzen und untergeordnete, aber nicht weniger festgefügte Behörden der hessischen Regierungspräsidien. Ein Stab von 45 Mitarbeitern vor allem der „M– Ebene“ wurden neu ins Ministerium hineingeholt, ca. 230 Mitarbeiter wurden übernommen. Keine Anweisungen von oben „Keine klaren Anweisungen“ gibt es von oben, klagen kleine Angestellte unten. Was sollen neue Leute, die völliges Neuland betreten wollen, auch zügig und klar entscheiden? Schon bei den vielen Anfragen von Bürgerinitiativen, die meinten, jetzt Akteneinsicht zu erhalten, lernte das Ministerium auf Zeitgewinn zu spielen: Die neuen Herren mußten ausloten, was geht und wo die Grenzen sind. Die „rotgrünen Vereinbarungen“ waren ein Kompromißpapier von Parteien, kein handhabbares Regierungsprogramm für einen Behördenapparat. Als die Probleme des Sonder–Mülls im letzten Sommer überhandnahmen, gab die „Fisher–Gang“ die Parole keine unnötigen Konflikte an anderen Fronten aus. Probleme wurden aufgeschoben, Gesetzesvorlagen für die Schublade erarbeitet - nach der Landtags–Neuwahl wollte man weitersehen. Wie sollte im bundesrepublikanischen und auch im hessischen Umfeld ein grüner Minister ein starker Minister sein? Eine Sache durchsetzen bedeutet, in Front zu gehen mit Interessengruppen von der Industrie, mit dem eigenen Finanzsenator und ab und zu auch mit lokalen Bürgerinitiativen. Ein „gewiefter Verwaltungsmann“, dem kein politisches Mißtrauen entgegenschlägt, würde mehr für den Umweltschutz herausholen, ein „richtiger Intrigant“ und „Apparatschik“, meint einer der Behörden–Beamten. Vom Herrn Minister übersehen Die meisten der übernommenen Beamten kennen den Minister nur vom Vorbeigehen. Auf ihre Stube kommt er nicht, erkundigt sich nicht nach ihrem Arbeitsplatz, interessiert sich nicht für ihre Arbeit. Auch auf dem Betriebsausflug hielt Minister Fischer nicht die Rede, die die Beamten gewohnt sind. Das hat viele empört. Sie erwarten, daß der Chef sich artig für ihren Fleiß bedankt, ein paar Sätze an sie richtet. Mehr nicht. Zwei Welten nebeneinanderher: Die aus Frankfurt hereingeschneite Kultur von motivierten Neulingen, daneben die eine eingerichtete Beamten–Kultur. Schon an den vielfältigen Umtrünken, mit denen sich so ein Apparat den grauen Alltag erleichtert, scheiden sich die Geister. „Der Staatsapparat wird zertrümmert“, hat Marx einmal aufgeschrieben. Die gewachsene Struktur so einer Behörde ist auf Absicherung und Hierarchie ausgelegt, auf geregelte Kompetenzen. Auslassungen über einen anderen Aufbau von Verwaltungen gibt es nicht. Die Entscheidungsstrukturen im Fischer–Ministerium sind hierarchisiert geblieben, die Geschäftsordnung wurde nicht durchbrochen. Nach mehr als einem Jahr gab es immer noch keinen Geschäftsverteilungsplan. Bei dessen Erarbeitung hätte die Frage aufgeworfen werden müssen, was anders werden soll, was nicht. Im Büro des Ministers gibt es keinen runden Tisch, wirkliche Beratungen außerhalb der engsten Vertrauten, der sog. „Fischer– Gang“ sind selten. Joschka Fischer praktiziert konventionelle Methoden persönlicher Machtabsicherung. Untergebene Ebenen und selbst die Abteilungsleiter werden auf funktioneller Distanz gehalten. Die „Neuen“ haben sich auf länger eingerichtet als auf 14 Monate. „Ich habe den Eindruck, daß der Apparat einen frißt mit der Zeit“, gesteht Grundsatzreferent W. Kretschmann.

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