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Entscheidende Fragen läßt Lafontaine offen

■ Der Bruch der Hessen–Koalition traf die saarländische SPD–Hoffnung völlig unvermittelt / Offen bleibt auch, ob es sich bei Lafontaines entschiedenem Votum für eine gemeinsame Perspektive mit den Grünen um Überzeugung oder politisches Kalkül handelt

Von Felix Kurz

Saarbrücken(taz) - Oskar Lafontaine ist sichtlich genervt. In der Kabinettsitzung am Dienstag war der saarländische Ministerpräsident gerade dabei, eine Sprachregelung zu finden, mit der man einen neuen am Horizont aufziehenden Umweltskandal im Saarland begegnen wollte, da platzte völlig unvermittelt die Kunde von Holger Börners Rücktritt als hessischer SPD–Chef und dessen Verzicht auf eine weitere Spitzenkandidatur herein. Um 12 Uhr mittags ist die Runde aufgelöst. Ausnahmsweise müssen die Journalisten bei der routinemäßigen, diensttäglichen Landespressekonferenz nicht auf die zu lange tagenden Minister warten. Umweltminister Jo Leinen kann sogar an einer Sitzung der SPD–Arbeitsgruppe „Umwelt“ teilnehmen. Nur Oskar Lafontaine läßt sich nirgendwo erspähen. Vorbereitet war auf die „Hessen–Geschichte“ niemand. Aber über eines sind sich die saarländischen Genossen sofort im klaren. „Wenn diese Koalition ihre Arbeit zu Ende gebracht hätte, hätte sie bei den regulären Wahlen im September gewonnen“. Ob das jetzt nach dem Bruch des sozialdemokratisch–grünen Bündnisses noch möglich ist, daran zweifelt jedenfalls SPD–Hoffnungsträger Oskar Lafontaine. Darüber, daß „wir denen im Bund das Geschäft erleichtern“, ist er verärgert. Was in Hessen geschah, ist „in jedem Fall eine Enttäuschung“. Hätte er denn Umweltminister Joschka Fischer nach dessen Äu ßerungen auf dem Grünen Parteitag im hessischen Langgöns entlassen? Hätte auch er dessen Aussagen als Rücktrittsangebot verstehen wollen? Auf diese Fragen bleibt Oskar Lafontaine am Dienstag abend im saarländischen Presseklub vor kleiner Runde die Antwort schuldig. Lediglich die Formel, nicht Börner habe den Grünen gefeuert, sondern Fischer habe ein öffentliches Rücktrittsangebot erklärt, ist von ihm zu hören. Ansonsten hat er das Atomgesetz, „ein Pro–Atomgesetz“, gelesen und erkannt, daß die Frage Einstieg in den Plutoniumstaat, „den ich nicht will“, Sache des Bundes sei. In der Kompetenzfrage hätten sich beide Partner in Hessen geirrt. Über ein Bundesland könne man den Weg in die Plutoniumwirtschaft eben nicht stoppen, allenfalls verzögern. Über das Verfahren des hessischen Wirtschaftsministers Steger, der der Plutoniumschmiede ja 460 Kilogramm Plutonium zugebilligt hatte, kann man diskutieren, meint Lafontaine. Der Vorschlag des designierten Börner– Nachfolgers, Hans Krollmann, der betont hatte, es gäbe dieses Jahr keine Genehmigung für ALKEM, „hätte den Bruch der Koalition verhindern können“. Oskar Lafontaine hatte es schon am Abend der Bundestagswahl gereicht. „Das Dogma rot–grün geht nicht, läuft nicht mehr.“ Selbst wenn die Neuwahlen in Hessen verloren gehen, sieht er „keinerlei Alternative zu einer rot–grünen Zusammenarbeit“. „Was ist denn die Alternative? Sollen wir sagen, eine Partei die acht, neun Prozent der Wählerstimmen erzielt, grenzen wir aus dem Parlamentarismus aus?“ Nein, das geht nicht, sagt Lafontaine, und „noch weniger ist es eine Alternative, wenn man die Inhalte sieht, um die es geht“. Es ist die Machtfrage, die Oskar Lafontaine umtreibt. Vor allem gibt es keine Gewißheit, daß die Grünen weniger Stimmen bekommen, wenn man nicht mit ihnen spricht, nicht mit ihnen kooperiert. Wie erreicht man dann noch die „politische Mehrheit“, die sich der saarländische Ministerpräsident angesichts der „vielleicht entscheidendsten Frage des Jahrhunderts“ so sehnlich wünscht? Die Position, mit den Grünen zusammenzuarbeiten, sei jetzt in der SPD „mehrheitsfähig“. Nur in dieser Frage habe er einen Führungsanspruch bei den Sozialdemokraten angemeldet. Mit wem wollen sie denn auch?, fragt er zurück. „Es gibt dazu keine Chance“. In der SPD sei „diese Sache geritzt“. Natürlich sei bei den Grünen „nicht sichergestellt, daß sie politikfähig sind“. Wünsche seien eben keine Politik. Genausowenig wie es sein Ziel ist, rot–grüne Bündnisse zu schmieden, sei es auch nicht sein Ziel, die Grünen „auszutricksen“. Immer wieder bricht die Frage durch, ist es Überzeugung oder nur politisches Kalkül, was den saarländischen Ministerpräsidenten, der seit 13 Jahren die politischen Verwaltungsgeschäfte kennt, zu seinen Äußerungen bewegt. Um rot–grün zu beeinflussen, muß Oskar Lafontaine keine andere Funktionen in der Partei annehmen, wenngleich viele in diese Richtung spekulieren und die Interwiew–Wünsche täglich mehr werden. Den freigewordenen Sitz von Hans Matthöfer im Partei– Präsidium würde er natürlich gerne annehmen. Zunächst will er die nächsten Landtagswahlen im Saarland 1990 gewinnen - ohne die Grünen. „Danach sehen wir weiter.“ Ende 1990 sind dann schon die Bundestagswahlen. Ob er dann bereit sei, nach Bonn zu gehen, will er heute noch nicht sagen. Drei Jahre sind eine lange Zeit. Ob er sich denn einen Hans– Jochen Vogel als Perteivorsitzenden und einen Oskar Lafontaine als Kanzlerkandidaten vorstellen könne? Das sei „ein denkbares Drehbuch“. Ob aber das sein Wunsch sei, läßt er mal wieder offen.

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