Ecuador: Machtkampf zwischen den Paten

■ Präsident Febres Cordero wurde im Januar von meuternden Militärs als Geisel genommen und im Austausch gegen den inhaftierten General Vargas Pazzos freigelassen. Dieser hatte vor einem Jahr gegen Cordero geputscht. Heute ist er im Untergrund und bereitet die nächste Runde im Machtkampf mit Cordero vor.

Von Elisabeth Rohr

Er könnte einem Roman von Garcia Marquez entlaufen sein: Frank Vargas Pazzos, (Ex–) General und Luftwaffenkommandeur mit Caudillo–Ambitionen, gescheiterter Putschist und Meuterer, durch Geiselnahme des Präsidenten freigepreßter Gefangener, ein vom Machismo, dem ibero–amerikanischen Männlichkeitswahn, besonders heimgesuchtes Exemplar großbürgerlicher Erziehungskünste, leidenschaftlicher Duellist, Karatekämpfer, unberechenbar und von rebellischer Natur, ein in die Jahre gekommener aufsässiger Berufsjugendlicher und „enfant terrible“ der Militärs, putscht sich und Ecuador in die Schlagzeilen der Weltpresse - und dies gleich mehrfach. Denn spätestens seit dem 14. März 1986 ist er der neue Held Ecuadors. Als er sich drei Tage zuvor auf dem Luftwaffenstützpunkt Manta an der Pazifikküste verschanzte und kategorisch die Absetzung des Verteidigungsministers und Generals Luis Pineiros forderte, hatte ihn die Bevölkerung enthusiastisch gefeiert und unterstützt. Die Regierung versuchte zunächst, die Meuterer auszutrocknen, indem sie den Luftwaffenstützpunkt das Wasser abdrehte. Doch formierten sich bald Menschenketten von den Toren der Kaserne bis zum nächsten Ort, von wo das Wasser in Eimern zu den Eingeschlossenen transportiert wurde. In Quito, der Hauptstadt des Landes, zogen Studenten durch die Straßen und bejubelten den dreisten Putschisten. Der Verteidigungsminister trat zurück, und Vargas wurde unter Hausarrest gestellt. Kaum war dieses Ereignis aus den Schlagzeilen verschwunden, als Vargas sich auf dem Internationalen Flughafen mitten in Quito verschanzte und die Bevölkerung aufrief, zum Präsidentenpalast zu marschieren. Dieser unverhüllte Aufruf zum Umsturz der Regierung wurde dem Rebell zum Verhängnis: Der amtierende Präsident Leon Febres Cordero verfügte Vargas Inhaftierung und Amtsenthebung als General und Luftwaffenkommandeur. Die Mitte–Links–Mehrheit im Parlament versuchte zwar immer wieder, dem General durch eine Amnestie zur Freiheit zu ver helfen. Doch scheiterten diese Bemühungen allesamt an dem inzwischen geradezu störrischen Beharren des Präsidenten auf einer Inhaftierung des Meuterers. Der gewagte Piratenakt einer Geiselnahme des Präsidenten am 16. Januar dieses Jahres erzwang nun die Freilassung des inhaftierten Putschisten. Der „Fall Vargas“ ist damit endgültig zum Stachel im Fleisch des seit Herbst 1986 ohne Mehrheit regierenden konservativen Präsidenten geworden, dessen Position im gleichen Zuge schwächer wird, wie jene des Frank Vargas an Stärke gewinnt. Dessen Popularität hat der Gefängnisaufenthalt keinerlei Abbruch getan, im Gegenteil, kann er doch nun auch noch des Mitleids der Ecuadorianer sicher sein. Vargas und Cordero sind Mitglieder mächtiger und alteingesessener Familienclans und durch Patenschaft eng miteinander verbunden. Vargas ist Patenonkel einer Tochter von Cordero. „Compadres“, wie in Lateinamerika Pateneltern und Paten heißen, schulden sich nicht nur Respekt und Vertrauen, sondern auch gegen seitige Hilfe und Unterstützung. Dies hält jedoch Cordero und Vargas nicht davon ab, im konservativen politischen Lager zu Konkurrenten um die Macht zu werden. Die Oligarchie, die sich aus den herrschenden Familienclans zusammensetzt, ist nun, was ihre ökonomischen Interessen anbelangt, kein einheitlicher Block. Traditionell haben in der ecuadorianischen Politik immer zwei Strömungen den Ton angegeben: Da waren zum einen die politisch konservativen Großgrundbesitzer des Andenhochlandes mit ihrer auf den Binnenmarkt orientierten und extensiv betriebenen Landwirtschaft, die traditionell von der katholischen Kirche unterstützt werden. Ihre Gegner - seit jeher die Liberalen der Küste - sind die exportorientierten Besitzer der Bananen–, Kaffee– und Kakaoplantagen. Zwischen diesen beiden Wirtschaftszweigen hat sich eine neue Branche der Agroindustrie, die Produktion und der Handel mit weiterverarbeiteten Lebensmitteln, gedrängt. Der regierende Cordero–Clan kontrolliert mittlerweile mehr als 35 fast den gesamten Weizenhandel des Landes. Leon Febres Cordero, Absolvent der „Massachusetts Institute of Technology“ (USA), sprengt mit seinen Wirtschaftsunternehmen das traditionelle politische Schema, das nur Konservative und Liberale kennt. Er macht sich mit seinem Agrobusiness sowohl die im konservativen Lager vorherrschenden Großgrundbesitzer wie auch die liberalen Plantagenbesitzer zu Feinden. Politisch hat sich Cordero zum autoritären und skrupellosen Tyrannen entwickelt, der mitunter parlamentarische Untersuchungsausschüsse polizeilich auflösen ließ, die Pressezensur einführte und alle wichtigen Posten im Staate, in der Wirtschaft und im Militär mit ihm ergebenen Männern besetzte. Er wurde binnen kürzester Zeit zum meist verachtetsten Politiker des Landes. Er zählt zu den absolut treuesten Vasallen Reagans in Lateinamerika und ist Vertreter des von der Chicago–Schule Milton Friedmans entworfenen monetaristischen Entwicklungskonzeptes. Doch die Kürzungen im Sozialbereich, eine Abwertung der Währung und Erleichterungen von ausländischen Investitionen haben Ecuadors Wirtschaft ruiniert. Steigende Inflation, Korruption und Vetternwirtschaft allerorten lassen die Verarmung anwachsen und nähren auch die Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten. Während die Gewerkschaften und linken und liberalen Parteien völlig zerstritten sind, gelingt es Frank Vargas, der brisante Fälle von Korruption enthüllt hat und die Bestrafung der betroffenen Militärs fordert, sich zur moralischen Instanz der Nation aufzuschwingen und gleichzeitig der schwelenden gesellschaftlichen Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Er versteht sich als „Rächer der Enterbten“, der es als einziger wagt, „dem Tyrannen Cordero“ furchtlos gegenüberzutreten. Um sein Leben ranken sich abenteuerliche Legenden: Bereits auf der angesehenen Militärakademie Eloy Alfaro erregte er Aufmerksamkeit, als er einen Vorgesetzten ohnmächtig schlug, weil dieser einen Untergebenen mißhandelt hatte. Vargas wurde auf der Stelle entlassen. Dies hinderte ihn jedoch nicht, später eine steile und glänzende Karriere als Berufsoffizier einzuschlagen. Respektlos erwies er sich ebenfalls gegenüber dem populistischen Politiker Velasco Ibarra, der zwischen 1934 und 1972 viermal putschte und fünfmal Präsident war. Als Vargas ihm die miserable Versorgungslage seiner Truppe zu schildern versuchte, so geht die Legende, soll dieser mit einer mü den und überdrüssigen Geste den Besucher hinausgewiesen haben, woraufhin dieser nur kurz sagte: „Soldaten: Anlegen!“ Daraufhin habe Velasco Ibarra ihm - mühevoll nach Fassung ringend und sichtlich bleich geworden - aufmerksam zugehört und Abhilfe versprochen. Frank Vargas versteht sich zwar als nationalrevolutionärer Reformer, der sowohl das Herrschaftsmonopol einiger weniger Familienclans wie auch die Ungerechtigkeit der Besitzverhältnisse anprangert. Doch seine militärische Karriere wie auch seine Herkunft aus einer wohlhabenden Großgrundbesitzerfamilie lassen eher auf eine konservative, dem „feudal“–aristokratischen Großbürgertum verpflichtete Haltung schließen. Nach seiner erpreßten Freilassung begleiteten ihn Galo Plaza, Ex–Präsident und einer der mächtigsten Großgrundbesitzer des Landes, sowie der Erzbischof von Quito, Antonio Gonzales, ebenfalls Vertreter der konservativen Großgrundbesitzerfraktion des Hochlandes, im Flugzeug zum Luftwaffenstützpunkt Taura. Vargas genießt nicht nur die Unterstützung der sozial– und christdemokratischen Parlamentsmehrheit, sondern auch diejenige der konservativen Großgrundbesitzer des Hochlandes, der Kirche und der Luftwaffe. Ein breites Bündnis also, um Corderos Absetzung herbeizuzwingen, dem das Parlament jetzt sogar vorwirft, er habe diese Staatskrise durch seine starre Uneinsichtigkeit selbst provoziert. Vargas ist zweifellos populär. Mit seiner schon legendären Aufsässigkeit, seinem Macho–Charisma, vertritt er einen Typ von Caudillo, der tatsächlich das jungenhaft Pubertäre, das ungezähmt Widerspenstige lebt, das bei einer überwiegend jungen Bevölkerung auf viel mehr Gegenliebe stoßen wird als jenes technokratisch–geschäftsmännische Flair, das Cordero umgibt. Lateinamerika, mit seiner explosionsartig wachsenden jungen Bevölkerung, sucht nach Identifikationsfiguren, die die Garde der mumienhaften versteinerten und erkalteten Greise und Patriarchen ablösen können. Und das verspricht Frank Vargas. Zur Zeit ist er zwar untergetaucht, doch nach eigenem Bekunden auf der Suche nach einer Partei, die ihn als Präsidentschaftskandidat aufstellen würde. Und falls Cordero die fallschirmspringenden Geiselnehmer vor ein Militärgericht stellen läßt - das hat Vargas bereits versprochen -, will er gerne ein drittes Mal putschen.