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Wallmanns Entsorgungsroulette

■ 7.000 Tonnen strahlendes Molkepulver warten noch immer auf ihre letzte Ruhestätte

Noch nie hat die Entsorgung radioaktiver Stoffe in der Bundesrepublik soviel Wirbel gemacht wie in Sachen Molke. Die Odyssee des Sonderzugs aus Rosenheim hält die Nation in Atem. Bahnhofsvorsteher Wallmann hat die heiße Ware inzwischen beschlagnahmt und erstmal eine Kommission eingesetzt. Bürgerinitiativen haben derweil Strafanzeige gegen den Minister gestellt. Er ließ radioaktiven Abfall (das Molkepulver) ohne Sondergenehmigung und ohne Kennzeichnung durch Deutschland transportieren. Exp aufgeflgen. Immer mehr Länder wehren sich gegen die Einfuhr verseuchter Produkte aus der EG.

7.000 Tonnen radioaktiv verseuchtes Molkepulver sind zum Synonym für die amtliche Hilflosigkeit bei der Beseitigung der Folgen der Tschernobyl–Katastrophe geworden. Seit knapp einer Woche wird das strahlende Gut, das pro Kilo mit 2.000 bis 7.000 Becquerel Cäsium belastet ist, in Feldkirchen (Bayern) und in Meppen (Emsland) auf Bundeswehrgelände „zwischengelagert“ - von Soldaten rund um die Uhr bewacht. 2.000 Tonnen befinden sich in einem Lagerhaus des Milchwerks Meggle in Rosenheim. Bundesumweltminister Wallmann, strahlender Besitzer der Molke, hat inzwischen eine Entsorgungs–Kommission eingesetzt, die in dieser „sehr komplexen Materie“ (Wallmanns Sprecher Diehl) nach Lösungen sucht. Die bunte Palette der Entsorgungspfade sieht schon mehr als 30 Möglichkeiten vor. Der neueste Hit kommt aus Hannover: Dort ist es Prof. Roiner vom Fachbereich Milchwirtschaft der Fach hochschule mit Hilfe von Ionenaustauschern gelungen, das radioaktive Cäsium von den Eiweißmolekülen des Molkepulvers zu trennen. Zu 98 Prozent seien die radioaktiven Nuklide herausgezogen worden, berichtete Roiner, der nur unter großen Schwierigkeiten an eine Probe für seine Experimente herangekommen ist. Die jetzt von Roiner erprobte Entseuchung des Molkepulvers wäre eine auch von kritischen Wissenschaftlern unterstützte Entsorgung. Dr. Krüger vom Münchner Umweltinstitut, der das Molkepulver seit Auftauchen des ersten Waggons begleitet hat, sieht allerdings die Schwierigkeit, daß erst die technischen Anlagen für solch eine Dekontamination gebaut werden müßten - eine kleine Entseuchungsfabrik. Bis dahin bliebe das Molkepulver im Bundeswehr–Zwischenlager. „Solange es da steht und nicht naß wird, passiert auch nichts“, versichert uns Krüger. Die nach außen dringende Strahlung sei nur für Personen gefährlich, die sich län gere Zeit in unmittelbarer Nähe der Waggons aufhielten. Krüger und mit ihm die Umweltverbände haben sich vor allem vehement gegen die Verbrennung des Strahlenpulvers gewehrt: „Radioaktivität brennt nicht.“ Das Cäsium bleibe nicht nur in der Asche und den Filtern zurück, sondern werde auch mit dem Rauchgas emittiert. Krüger: „Das wird als radioaktiver Spray in die Umgebung verteilt.“ Statt einer Verbrennung fordert er die Verschwelung unter Luftabschluß (Pyrolyse). Dabei bleibe die gesamte Cäsiumaktivität im Pyrolyse–Koks zurück und könne dann endgelagert werden. In Karlstein sei eine solche Pyrolyseanlage für radioaktive Stoffe in Betrieb. Diese Lösung dürfte Bonn vermutlich zu aufwendig sein, denn bei der Entsorgung geht es auch um kostengünstige Möglichkeiten, die in großem Maßstab zu verwirklichen sind. Die Müllverbrennung z.B. würde pro Tonne etwa 18.000 Mark kosten, insge samt also 126 Millionen Mark für die 7.000 Tonnen Molkepulver, die auf jeden Fall schon jetzt zum teuersten Milchprodukt seit Entdeckung des Euters geworden sind. In Frage käme auch eine direkte Zwischenlagerung ohne weitere Behandlung. Wallmann könnte das Pulver zu schwachaktivem Atommüll ernennen, womit es dann gleichbehandelt würde mit leicht strahlenden Abfällen aus Atomkraftwerken, Forschungszentren oder Kliniken. In Rollreifenfässern verpackt, käme es dann nach Mitterteich oder ins Zwischenlager Gorleben. Das Bonner Forschungsministerium hat indes andere Pläne: Aus dem BMFT kam nämlich der Vorschlag, das Molkepulver dem Zement beizumischen, mit dem schwach radioaktiver Müll vor seiner Zwischenlagerung gebunden wird. 1.000 Tonnen Molkepulver könnten auf diese Art jährlich beseitigt werden. Zu den möglichen Entsorgungspfaden zählt nach wie vor auch eine Endlagerung in einem Salzstock. Das bayerische Umweltministerium lehnte allerdings den Salzstock Berchtesgaden als Molke–Klo ab, denn schließlich sei Berchtesgaden Wintersportort mit jährlich 600.000 Touristen. Die Lieblingsentsorgung aus Bonn–bayerischer Sicht war neben der Ausfuhr des „Wirtschaftsguts“ zur Schweinemast in Ägypten lange Zeit ein Abkippen auf eine normale Müllkippe. „Wegen der aufgepeitschten öffentlichen Meinung“, so die Nachrichtenagentur ap, scheint dies allerdings kaum noch möglich. Aufgepeitscht wegen des „absurden Theaters“ ist auch die deutsche Atomgemeinde, die mit jedem Waggon Molkepulver auch die „friedliche und umweltfreundliche Kernenergie“ am Pranger sieht. Wenn Wallmann ähnliche Maßstäbe wie beim Molkepulver anlege, müßte er dann nicht auch den schwach strahlenden Kunstdünger verbieten und die Abraumhalden der Bergwerke, die ebenfalls leicht radioaktiv seien, mit Soldaten umstellen, fragt das Jahrbuch der Atomwirtschaft. Gegenfrage: Wer ißt Kunstdünger und Bergwerk–Abraum? Molke dagegen ist wichtiger Bestandteil unserer modernen Lebensmittelzubereitung, ein „Grundstoff der Lebensmittelindustrie“ (Umweltinstitut München). Molkenproteine werden unter anderem für Kinder– und Babynahrung verwendet, aber auch für Wurst, Süßwaren, Soßen, Mayonnaisen, Desserts, Suppen, Schlankheitskost und Sportler nahrung. 22 Drittel der Gesamtmolkemenge wird in der Tierernährung verwendet und wandert in die Tröge von Kälbern und Säuen, Rindern, Ferkeln und Lämmern, selbst Forellen werden mit Molke gefüttert. Das jetzt von Wallmann beschlagnahmte strahlende Molkepulver war als „Kälberalleinaufzuchtsfutter“ deklariert. Manfred Kriener

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