Berliner Krimi um Waffen, Koks und Kohlen

■ Gericht schlägt heute neues Kapitel berlinischer Kriminalgeschichten auf / Vom einfachen Diebstahl über Drogendeal und Waffenhandel bis zur Anstiftung zum Totschlag ist alles enthalten / Im Mittelpunkt der Gerüstbauunternehmer Hilmar Hein

Von Benedict Maria Mülder

Berlin (taz) - Berlin - eine Nahtstelle zwischen Ost und West. Eine Stadt auch mit einer schillernden Ganovenszene. Die Grenzen zwischen normaler und politischer Kriminalität sind dabei zuweilen fließend. Dazwischen sind auch die Hintergründe eines heute beginnenden Prozesses angesiedelt. Doch einer der ermittelnden Staatsanwälte hat schon abgewunken: „Die Hintergründe kommen im Prozeß nicht vor“. Das sind Fragen nach dem Sinn von in Berlin akquirierten Waffen. Aufgrund alliierter Bestimmungen kann der Umgang mit ihnen immer noch mit dem Tode bestraft werden. Dennoch soll eine Widerstandsorganisation von Exil–Libyierngegen Revolutionsführer Ghaddafi namens „Al Burkhan“ in Westberlin Ausschau nach Waffen gehalten haben. Hilmar Hein, der 42jährige Hauptangeklagte, will sich, so die Anwälte Baumeier und Frau von Galen, aber nur zu einigen der auf 178 Seiten dokumentierten Vorwürfe äußern. Seine Erklärung soll sich nicht auf Kontakte zu Anti–Ghaddafi–Organisationen beziehen, sagen sie. Die Ermittler hingegen waren nicht so kleinlich. Sie glauben, den Sohn einer alteingesessenen Berliner Gerüstbaufirma in einen Zusammenhang mit Mordanschlägen auf libysche Diplomaten in Rom, Wien oder London im Jahre 1984 stellen zu können. Sie meinen, daß mindestens zu einem dieser Attentate eine Waffe verwendet wurde, die aus den Beschaffungsaktionen Heins stammen soll. Und Hein war in der Tat rührig. „Eines Tages“, so schilderte es der inzwischen mit einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe verurteilte Bar–Besitzer Dieter Harbecke (“Club Regina“)vor Gericht, „kam Hein zu mir und fragte nach Schußwaffen“. Harbecke, ganz unbescholtener Bürger und Geschäftsmann - „Ich mache nur noch korrekte Geschäfte“ - will nur über einen Zufall zu entsprechenden Materialien gekommen sein. Ungetrübt verlief das mehrere tausend Mark umfassende Geschäft jedoch nicht. Am nächsten Tag fuhr Hein im 500er vor und tobte - ihm waren Attrappen angedreht worden. Dennoch ließ er nicht locker. „Für eine Kampagne gegen Ghaddafi“, soll er laut Harbecke gesagt haben, „brauche ich dringend Waffen“. Die erhielt er dann auch, diesmal echte. Als sie in der Hein–eigenen Firmenhalle getestet wurden, sah sie, so schildert es ein Zeuge, „aus wie ein Sieb“. Vornehmlich waren die Testobjekte Walter–Pistolen, aber zum Bestand gehörte auch eine alte Wehrmachts–MP, Jahrgang 42, nicht zu vergessen als Rarität eine Damenwaffe aus dem vorigen Jahrhundert. Als man sich aber eines Tages um Granaten, Plastiksprengstoff und Panzerfäuste bemühte, war wohl noch Handfesteres geplant. Mit einem Anschlag auf das libysche Volksbüro in Bonn sollte 1984 ein Signal gesetzt werden. Bis heute ist nicht ganz klar, ob es nur dem Dilettantismus der angeheuerten Attentäter aus dem Berliner Milieu zu verdanken ist, daß am frühen Morgen des 14. Oktober lediglich zwei Saftflaschen– Coktails am Gästehaus der Libyer einen Schaden von 1.000 Mark anrichteten. Damals hatten bundesdeutsche Terroristenfahnder nicht ausgeschlossen, daß es sich um eine libysche Selbstinszenierung gehandelt hat - bis dann die Spuren nach Berlin wiesen. Einer der Zündler wurde jetzt am Dienstag zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Mögliche politische Hintergründe kamen dabei nicht zur Sprache. Der Richter hatte es sich lediglich in dem Verfahren gegen den Gastronom Herbecke nicht nehmen lassen, süffisant nach Politikern zu fragen, die man schon an ihrer „geringen Größe“ erkenne. Dabei gehe es, so der Richter, „um einen heutigen Bundestagsabgeordneten“. Harbecke, darauf bauend, daß Vertrauen die Seele des Geschäftes ist, lapidar: „Ich würden einen solchen nicht erkennen“. Da, wo einst der „kleinwüchsige CDU–Politiker Lummer“ herumreiste, entdeckte vor Jahren auch Hein seine Liebe zum „arabischen Raum“. 1975 verkaufte er 450 LKWs an den Iran, mit dem „Senatsstürzer“ und Architekten Garski wollte er in Saudi Arabien reussieren und 1977 soll er erste offizielle Kontakte zum libyschen Regime geknüpft haben. Ein Riesen–Auftrag am Flughafen Kutrah lockte. Als sich das Geschäft zerschlug, blieb immerhin die Bekanntschaft zu einem gewissen Bauunternehmer Rageb Zatout, der sich wegen Auseinandersetzungen mit dem Revolutionsführer auf die Seite der Ghaddafi–Gegner geschlagen haben soll. Seitdem bekam die Freundschaft zu Hein jenen Dreh, die mit dem Namen und den Tätigkeiten der Anti– Ghaddafi–Organisation „Burkhan“ verknüpft werden. Wenn das Ghaddafi–Regime verschwände, so die Hoffnungen Heins, werde er der Handelsrepräsentant eines „neuen Libyen“. Und er kann handeln. Das sehen die Berliner Ermittler zur Genüge durch vielfältige Verstrickungen in den Kokain–Handel bewiesen. Die Lieferanten saßen in Amsterdam. Abnehmer, so vermutet die Polizei, aber nicht nur in Westberlins Drogenszene, sondern auch jenseits der Mauer. Zwar habe Hein der Droge zum eigenen Konsum „insbesondere zur Steigerung sexueller Erlebnisse“ zugeneigt, sie aber auch nicht identifizierten Personen in Ostberlin zukommen lassen. Gemeint sei damit Ghaddafis Volksbüro–Ost, sagen Insider der Szene, „man wollte dortige Mitarbeiter gefügig machen“. Auf so vornehme Weise hielt es Hein mit seinen westlichen Kumpanen nicht immer. Er zahlte die Club–Rechnungen, die Abende mit Knaben und so manche Reise. Der Gerüstbauer, dem so schnell kein lukratives Bauwerk in der Stadt entging (die Grundkredit– Bank, der Ostberliner Dom, der Martin–Gropius–Bau), war spendabel. Als sich indessen die polizeilichen Ermittlungen trotz angeblich guter Beziehungen wie ein eiserner Ring um Hein und Companie legten, hieß die Devise nur noch: „Willst Du Jäger sein oder Gejagter. Entweder ziehen alle an einem Strang, oder einer springt über die Klinge“. Und man war auch nicht zimperlich. Daß Hein heute selber unter Impotenz leidet, ist geharnischten Differenzen „unter Brüdern“ geschuldet; einem aussagefreudigen Zeugen wurde der Oberarm gebrochen, und heute fehlen ihm zwei Schneidezähne. Im Prozeß heute geht es aber zunächst um Kleinigkeiten wie den Klau am Bau. Alles, was nicht niet– und nagelfest war, wechselte den Besitzer: Dachpappen, Regenrinnen, Rollrasen, Feuerwehrschläuche, Teerkocher, ein LKW, Planen, Styroporplatten. Dazu kommt der Vorwurf einer versuchten Brandstiftung. Ein Verfahren wegen Anstiftung zum Totschlag wurde abgetrennt. Ein Detail am Rande: Völlig ungeklärt blieb bislang auch ein Fahrraddiebstahl.