: Volkszählung gleich Demokratie?
■ In einem Boykott sehen Parteienvertreter das Ende der Demokratie / DGB– und SPD–Führung trommeln für die Zählung / Kanzler Kohl schreibt einen Brief und setzt ein Zeichen / Weiteres Raumverbot für Vobo–Ini
Berlin (taz/dpa/ap) - Führende Vertreter von CDU, SPD und DGB haben gestern die Werbetrommel für die Volkszählung gerührt und Boykottaufrufe als „verantwortungslos“ und „schädlich“ bezeichnet. „Das Ende der Demokratie“ sieht der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Horst Waffenschmidt, gar gekommen, „wenn es in das Belieben einzelner Gruppen gestellt“ wäre, das Volkszählungsgesetz zu boykottieren. Kanzler Kohl rief in einem Schreiben an Vertreter wichtiger gesellschaftlicher und politischer Gruppen dazu auf, für die Volkszählung zu werben. Sein Sprecher Ost meinte, er habe damit ein „Zeichen“ gesetzt. Der Bundesvorstand der SPD hat an die Bevölkerung appelliert, sich an der Volkszählung zu beteiligen. Boykottaufrufe und -kampagnen trügen nur zur Verunsicherung bei und würden von den Sozialdemokraten abgelehnt, erklärte Bundesgeschäftsführer Glotz gestern. Demgegenüber meint seine Vorstandskollegin, die SPD–Rechtsexpertin Herta Däubler–Gmelin, in einem Interview der Neuen Presse, die Volkszählung müsse „im Ergebnis scheitern“, wenn es nicht noch gelänge, das „Grundmißtrauen“ der Bevölkerung abzubauen. Das Grundmißtrauen beruhe auf der falschen Einstellung von Bundesinnenminister Zimmermann zum Datenschutz. Wer die Sicherheitsgesetze und den maschinenlesbaren Personalausweis „durchdrücke“, dürfe sich über Mißtrauen nicht wundern. Im Gegensatz zum Vorstand der „Mutterpartei“ hat sich der Bundesvorstand der Jusos für einen „weichen“ Boykott der Volkszählung ausgesprochen. Während einige Einzelgewerkschaften auf regionaler Ebene offen zum Boykott der Volkszählung aufrufen, andere zumindest Bedenken äußern, erklärt der DGB–Vorsitzende Ernst Breit jetzt in einem Interview der „Welt der Arbeit“, die Zählung sei nötig, um eine „vernünftige Strukturpolitik“ zu machen. Anders als mit den Daten der Volkszählung seien strukturbedingte Krisen „gar nicht in den Griff zu bekommen“. Mindestens das Doppelte des bisherigen Werbeetats von 16 Millionen hat gestern der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Egon Hölder, für seine Werbekampagne zur Volkszählung gefordert. Er selbst hat sich jetzt in Wiesbaden zum „Klinkenputzen“ gemeldet hat. Kasseler Bürger dürfen sich auf den amtsmüden Holger Börner freuen, der jetzt als Volkszähler ein neues selbstgewähltes Betätigungsfeld gefunden hat. Nach Lübeck sind jetzt auch in Minden der örtlichen Volkszählungsinitiative die Räume entzogen worden. CDU und SPD stimmten für einen Antrag der FDP, der Initiative den Zutritt zum Bürgerzentrum, das einen Nutzungsvertrag mit der Stadt geschlossen hat, zu verweigern. Ve Siehe auch Kommentar
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