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Aidsfrei–Staat?

■ Zu den bayerischen Zwangsmaßnahmen

Man kann es in der Amtssprache ganz vornehm „Maßnahmen zur Bekämpfung der Immunschwäche AIDS“ nennen, was die bayerische Staatsregierung am Mittwoch beschlossen hat. Aber man kann es auch als das bezeichnen, was es wirklich ist: ein Berufsverbot für AIDS–Infizierte im öffentlichen Dienst, eine verkappte namentliche Meldepflicht für breite Bevölkerungskreise und eine sofortige Abschiebungsermächtigung gegenüber all den Ausländern, die nicht dem bayerischen „Reinheitsgebot“ genügen. Schaut man sich jede einzelne Maßnahme des bayerischen Anti–AIDS–Feldzuges an, wird deutlich, daß es dabei überhaupt nicht um den Schutz vor einer weiteren Ausbreitung der Krankheit geht, sondern um ein Erfassen und Ausgrenzen der Personen, derer man organisatorisch am besten habhaft werden konnte. Man nahm sich die vor, die man eh schon im polizeilichen Kontrollgriff hatte und die sich gegen ihre Diskriminierung am wenigsten wehren können: Strafgefangene, Drogenabhängige, Prostituierte, Homosexuelle und Ausländer. Und man hat sich mit dem öffentlichen Dienst einen Berufszweig vorgeknöpft, der ohnehin schon von Amts wegen eine staatliche Gesundheitsüberprüfung über sich ergehen lassen muß. Kein bayerischer Staatssekretär kann ernsthaft begründen, warum ein Ausländer ein stärkeres Gesundheitsrisiko darstellt als ein Deutscher. Und jeder Mediziner kann nachweisen, daß es für die mögliche Übertragung von AIDS wohl weitaus risikoreichere Berufe gibt, als den des Lehrers. Medizinisch macht die Zwangsuntersuchung der öffentlich Bediensteten keinerlei Sinn. Wer wirklich die Verbreitung von AIDS stoppen will, ist damit nicht einen Millimeter vorangekommen. Er hat das Problem bestenfalls über die bayerischen Landesgrenzen geworfen. Wer allerdings die Bevölkerung „durch–säubern“ und in „rein“ und „unrein“ katalogisieren will, ist damit auf schnellste und bequemste Weise einen gewaltigen Schritt weitergekommen. Vera Gaserow

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